Crêpes bretonnes – auch ein Traum
Wir sitzen auf der Wilhelmshöhe hoch über Hagnau. Unter uns der Bodensee, weit, blau, friedlich. Im Tessin heult sich der Himmel die Seele aus dem Leib und schickt uns einen Föhn über den See mit einer Fernsicht, die unsere norddeutschen Herzen in Ekstase versetzt.
Weit draußen zwei weiße Segel. Conrad Ferdinand Meyer lässt grüßen.Der Literaturkenner weiß: Das ist die Helvetische Liebesexstase in ihrer klassischen Balance von schwellender Leidenschaft und ruhender Zweisamkeit – – wie die beiden Milane am Himmel, die sich in aller Ruhe höher und höher schrauben.
„Ach“, sage ich, „jetzt hoch in den Himmel segeln und kreisen, einfach kreisen.“
Friede.
Stille.
Sogar der alltägliche Stau auf der B 31 weit unter uns hat sich heute rücksichtsvoll abgemeldet. Die Seele ruht.
Nicht lange.
Röhr, brumm, farz. Ein Motorradclub quält sich durch den kleinen Ort. Hände hoch an dem Ape Hanger, Beine knapp hinter dem Vorderrad, Blick stoisch geradeaus.
Eine Rotte Harleys auf zum Picknick irgendwo am See. In der Mitte der Rotte der Road Captain auf seiner Road King.
Ich greife mir den Feldstecher. Der Captain nuschelt in seinen Sprechfunk. Was nuschelt er da? Er fragt den Sergeant of Arms, ob alles OK ist, ob niemand aus der Reihe tanzte, ob alle vor der Fahrt ordentlich die Blasen entleert haben, ob jemand zu schnell durch eine Kurve gerauscht ist, ob … Na, so in der Richtung wird er genuschelt haben.
Und der Sergeant auf seiner Softtail? Der hat so in dieser Richtung geantwortet: Alle OK, Hannes. Reg dich nicht auf. Die Truppe fährt in Reihe und auf Abstand. Einfädeln kein Problem, den Reißverschluss hab ich denen eingetrichtert. Nur Dieter, der hat die Gashand nicht im Griff. Der braucht Disziplin. Dem kannste mal bei Gelegenheit eine aufs Maul geben.
Disziplin. Als Lehrer weiß ich um den Wert von Disziplin als Voraussetzung für eine kreative Unterrichtsstunde. Aber beim Motorradfahren geht es um Lust. Und Lust liebt die Anarchie.
Die B 401 am Küstenkanal von Oldenburg nach Holland, immer geradeaus, stur geradeaus, aber bei Vehnenmoor fängt dein Herz an zu rasen. Schon verkündet das Verkehrsschild: 1. Jetzt kommt eine S-Kurve, 2. die ist gefährlich und 3. nur 70 kmh, sonst wird es teuer.
Jubelnd reißt du den Gasgriff hoch, jubelnd lässt der Motor die Drehzahlen von der Kette, und jubelnd stürzt sich die Maschine in die Kurve, Po nach rechts, Knie raus, krrrrr, die Fußraste kratzt mit rasender Lust über den Asphalt, der Stiefelhacken lässt seine Sohle küssen, Po nach links, Knie raus, das Ganze noch mal auf der anderen Seite. Oh, stöhnst du, das war’n Ding. Am liebsten würdest du wenden und noch einmal durch die Kurve jaulen.
Aber du lässt die Drehzahlen wieder auf die vorschriftsmäßigen 100 kmh fallen. Disziplin. Du willst ohne Strafmandat nach Groningen kommen. Da willst du den Fischmarkt besuchen. Der lässt auch dein Herz jubeln.
Unten röhren gerade die letzten drei Bikes durch unser Blickfeld. Ruhe kehrt ein, die Milane kreisen, als wäre nichts geschehen. Der Bodensee blaut wieder ruhig vor sich hin, der Säntis leuchtet weiß im Hintergrund. Da taucht noch ein Motorrad auf. Ich hebe den Feldstecher. Eine Horex Regina. Den Düwel ook. Dascha’n Ding. Wo kommt die denn her?
Der Traum meiner Jugend und meiner BMW 69/S. Die hatte immer sehnsüchtig nach den eleganten Vorderbeinen der Regina geschielt, bis ich Chris („Geld verwaltet die Kleine. Ich brauch nix. Nur mal‘n Motorrad wieder neu aufbau‘n, na, da schiebt die Kleine anstandslos die Scheine rüber“) bat, der BMW die Schwinge durch die eleganten Reginaholme zu ersetzten. Mein Gott, was hatte die Bayernlady gestrahlt.
„Ja, die 69/S“ sage ich, und Elke weiß, dass ich wieder abtauche in die Vergangenheit, aber da taucht sie gerne mit. Wohin hat uns die gute 69/S nicht überall gebracht. Schweiz, Italien, Frankreich, Spanien, Portugal. Aber besonders gern ist sie mit uns in die Bretagne gefahren.
Die 69 S und die Bretagne. Das ist ein Kapitel für sich. Die bayrische Lady in Schwarz-Weiß liebte die Bretagne. Besonders im Juni. Warum? Nicht nur, weil die Sonne vom Himmel auf den ausladenden Tank brannte und nicht nur, weil der Asphalt die Griffigkeit eines 600er Schmirgelpapiers hatte. Nein, vor allem liebte sie die Bretagne im Juni, weil dann auf den Klippen weit über dem Meer die Bullen ihre R 60 geparkt hatten – mit Schwinge natürlich. Da fehlen nur noch die Hosenträger, brummelte sie regelmäßig in ihre Bing-Vergaser. Und dann senkte sie mit unverhohlen stolzem Lächeln ihren Scheinwerfer auf die eleganten Holme ihrer Horexgabel.
Und was ihr noch so einen Extrakick gab? Natürlich die Bullen in ihren imposanten Lederbreeches und den ultracoolen Sonnenbrillen. Und wenn die ihr immer überforsches Herrchen aus dem Surf zurückpfiffen – gerade, wenn es so richtig halsbrecherisch wurde – dann schnurrte sie vergnügt mit ihren Ventilstößeln.
Und wenn wir in der Bretagne auf den Klippen saßen, auf den Knien die Langustinen, die in der Bucht von St. Malo ihr Leben gelassen hatten, oder einen gegrillten Hummer von der Strandbar bearbeiteten, gefüllt mit einer genialen Sauce aus Butter, Weißwein, Brandy und Estragon, und ihn mit einem Seitenschneider aus dem Bordwerkzeug zerlegten, ja, dann lächelte die bayrische Lady mit stillem Vergnügen.
Ob sie gerne in Auray irgendwo zwischen dem Quai Benjamin Franklin und dem Place St Sauveur vor einem der vielen kleinen Restaurants stand? Ich weiß es nicht. Wir saßen jedenfalls selig in der Crêperie Bar Franklin gleich am Hafen von Saint Goustan in Auray. Am Nebentisch diskutierte eine reife Frau mit einem reifen Herrn über die Qualitäten von unterschiedlichen Crêpièren. Sie hatte zwei. Die kamen aus der Bretagne. „Et je te le dis, la chaleur est distribuée de manière absolument uniforme.“
Und dann kamen unsere Crêpes. Die kamen auch von Platten, bei denen die Hitze absolut gleichmäßig verteilt war. Hauchdünn waren sie, knusprig und dampfend.
Die erste Ladung au jambon, die zweite einfach au beurre und die dritte au Cointrau flambé.
Zwischen uns ein Krug mit Cidre und hinter uns die Kellnerinnen, die sich ob unserer Begeisterung die Ellbogen in die Seiten kieksten.
Der Nachbartisch hatte immer noch nicht das Thema gewechselt. Die Frau erklärte ihrem geduldigen Zuhörer: „Le secret des crêpes bretonnes est l’œuf en neige.“
Da ich zwar altgriechische Grundkenntnisse besaß, aber kaum Französische, musste Elke übersetzen und ich wusste: Das Geheimnis des Crêpe ist der Eierschnee.
„Ach“, sagte ich hoch über dem Bodensee, „weiß du noch, wir und die 69/S in Auray, wir auf den Klippen und …“
„ … knackten den Hummer und am Abend stopften wir uns am Hafen mit Crêpes voll. Und wenn ich es nicht mehr wüsste, du hast mich oft genug daran erinnert.“
Sie machte eine Pause. „Weißt du was? Ich habe Hunger.“
Ob saftiger Pfannkuchen, quarkiger Plinsen, üppiger American Pancake oder Crêpes, alle sind sie lecker und enorm nahrhaft. Alle werden mit Zucker, mit Blaubeergelee, mit verschiedenen Sirups veredelt – bis auf die gallischen Crêpes. Die kommen daher mit einer breiten Palette an Auflagen. Und sie haben eine Eleganz, die sie von ihren, sagen wir mal hausbackenen germanischen Vettern unterscheidet.
Ich bin zwar irgendwo Germanisch, vielleicht auch mit einem Touch Hausgebackenem, aber der Eleganz der Crêpes bin ich hoffnungslos verfallen.
Rezept für 2 hungrige Personen (8 Crêpes)
Die Hardware
- Große Schüssel
Schneebesen
Handmixer oder elektrischer Schneebesen
Saucenkell (mittelgroß)
Crêpe Pfanne oder elektrischer Flächengrill
breiten Holzspachtel oder Pfannenwender mit geradem Abschluss
zwei Blätter von der Küchenhandtuchrolle zum Wischen des Pfannenfetts
Die Software
- 200 g Mehl
3 Eier
350 ml Milch
20 g zerlassene Butter oder 1 EL gutes Öl
1 Tütchen Vanillezucker
1 TL Zucker
kräftige Prise Salz
Fett zum Braten (Margarine oder Butterfett)
Die Cover Ware (meine Lieblingsauswahl)
- grob geriebener Gouda
gewürfelter Räucherschinken
Bananenscheiben
Zucker
Rum oder Cointreau
gesalzene Butter
und als Gaststar: Kerze und Streichhölzer
So gehe ich vor
1 Das Mehl in eine große Schüssel geben und mit 2/3 der Milch vermischen. Eier trennen. Das Eigelb in das Mehl, das Eiweiß in ein Mixgefäß geben.
2 Mit dem Schneebesen Eigelb und Mehl durchrühren, die zerlassene Butter, Zucker, Vanillezucker und das zerlassene Fett hinzugeben. Mit der übrigen Milch so korrigieren, dass ein nicht zu leichtflüssiger Brei entsteht.
Alles im Keller oder im Kühlschrank 30-35 Minuten ruhen lassen.
3 In der Zwischenzeit den Belag zusammen mit einer Kerze und Streichhölzer bereitstellen und die Küche aufräumen.
4 Dann holst du den Teig aus der Kälte, tauchst den Handmixer in das Eiweiß und bringst es zum Schäumen. Den festen Schaum ziehst du vorsichtig unter den Teig. Wenn er zu dick ist, kannst du noch mit Milch korrigieren.
5 Jetzt die Pfanne oder den Grill auf höchste Stufe aufheizen, ein Klacks Fett hinein, das Fett mit dem Küchenpapier flink verstreichen und eine 1 ½ Saucenkelle (bei einer großen Schöpfkelle eine halbe Ladung) Teig in die Mitte. Flink, aber gefühlvoll mit dem Pfannenwender möglichst flach verstreichen (Wenn der Crêpe stellenweise an die Textur von feiner Brüsseler Spitze erinnert, hast du alles richtig gemacht.).
Nach eine Minute wenden und belegen.
6 Banane und Käse
Banane und Zucker
Käse und Schinken
Käse
Nichts
Zuklappen, liebevoll platt drücken, auf den Teller geben. Ich streiche mir bei NICHTS bei den herben Varianten etwas gesalzene Butter über die Crêpes.
7 Und wenn es schon dämmrig wird, hat das kleine Feuerwerk seinen Auftritt: Zucker und Rum.
½ EL Zucker auf dem Crêpe verteilen, ihn vorsichtig auf den Teller heben, 1 EL Rum (ziehe ich dem Cointreau vor) darüber und anzünden und beobachten, wie die bläuliche Flamme über den duftenden Crêpe züngelt.
Und wenn du die Nachbarn in eine frustrierende Ekstase versetzen willst und einen Flachgrill (eine Seite geriffelt, die andere glatt) besitzt, dann baust du alles an einem schönen Sommer- oder Herbstabend auf der Terrasse auf und lässt den Duft der sich bräunenden Crêpes um die Häuser wehen. Die Nachbarn werden sehnsüchtig die Nasen in den lauen Abendwind heben. Oh, werden sie – die Nasen und die Nachbarn – seufzen, das ist ein Duft, mein Gott, ist der so schön wie ein Sommernachtstraum.
Und ein Tipp: Am nächsten Morgen nicht auf die Waage steigen.
Fotos:
Ape Hanger: Donna Rodrigue: What You Need to Know About Ape Hangers
Alle anderen: Von mir (Montagen verschiedener Fotos)
Ein Kommentar zu „Crêpes bretonnes – auch ein Traum“