Resteessen mit einem ordentlichen Sauerkraut

Ein Jahr ohne Motorrad, das nagt an der Seele,! Anmerkung 2020-07-26 085152 Kopie Leute.
Was noch mehr nagt: Nach dem Jahr kommt noch ein Jahr, auch ohne Motorrad und dann noch eins und noch eins und so weiter, bis dass der Tod dich scheidet von all dem, was dir sonst noch lieb und teuer ist.

Ich habe das mal mit der Bonnie an einem lauen Sommerabend besprochen. Wie? Du weißt nicht, wer Bonnie ist? Also, das ist schon ein starkes Stück. Mach dich hier schlau oder lies „Die Morde der Salome Salomon und dann darfst du auch hier weiterlesen.

Also ich saß im Garten und drehte in Gedanken versunken eine Flasche mit dem silbernen Schlüssel auf rotem Grund in meinen Händen. Der Abendwind strich sanft durch die hohen Bäume auf der anderen Seite des Flusses, und die Baumkronen neigten sich biegsam in der leichten Brise – so wie vor einem Jahr die Platanen auf dem Camping des Tunnels an der Ardèche.

2 auf dem c-platz

„Weißt du“, sagte die Bonnie, als der Abendwind die Blätter leicht beben ließ, „ich vermisse dich schon sehr.“
Das ging mir natürlich runter wie Schwedenöl. Als ich ihr sagte, dass ich sie auch sehr vermisse, schaute sie mich mit ihrem immer noch blanken Scheinwerfer misstrauisch an. ‚Oh‘, glaubte ich in dem Reflektor zu lesen, ‚warum hast du mich dann verkauft – da hoch in die Schwäbische Alb?‘
Aber dann kam es deutlich: „Was ich da oben an der Donau wirklich vermisse, mein alter Freund, das ist der fettige Geruch einer echten englischen sausage roll, das Aroma von verbranntem Öl, das Knistern der Wurstrolle zwischen den Zähnen eines Bikers. Und“, dabei verdrehte sie ihren Scheinwerfer in wilder Ekstase, „dazu mushy peas.“3 mushy peas montage

Ich muss sie recht entgeistert angeschaut haben. Mushy peas, der unheilige Erbsenbrei! Good Lord! British cuisine at its worst und – das ist weithin unbekannt – das perfide Finale eines britischen Einbürgerungstests.

Hier werden Kushtrim aus Albanien oder Aaliyah aus Syrien und/oder dem Afghanen Farid aus Dschalalabad eine Hammelkeule mit mushy peas serviert. Eine versteckte Kamera zeichnet das Mienenspiel auf, ein ausgeklügeltes Computerprogramm errechnet die Reaktion der Geschmacksnervenzuckungen und gibt das Ergebnis auf einer Skala von 1 (ggE=ganz großer Ekel) bis 10 (ggG=ganz großer Genuss) wieder. Bei einem einfachen E ist Nachschulung fällig (Pommes mit backed beans (Tomatenpampe, vegan)) und sausages (Rind, Fett und Brot, unvegan) über black pudding (Rinderblut, no comment) zu gegrillten Marshmallows (Zuckerschnee mit schweinelosem Geliermittel).

Gerade wollte ich Bonnie die ausländerfeindlichen Seiten der mushy peas erläutern, da verdrehte die Gute noch einmal verzückt den Scheinwerfer. „Oh Patrick“, stöhnte sie, „I wanna go home.“
Da wusste ich: Auch bei der Bonnie rückt das Finale näher.
Patrick – der aufmerksame Leser erinnert sich, der nicht aufmerksame macht sich hier schlau – Patrick Finbarr O‘Gallovan aus Kerry, der Mechaniker, der Bonnies Endmontage in Hinckley im Schatten von Birmingham durchgeführt hatte, war nicht nur ein fanatischer Katholik, dem die Himmel offenstanden, er war nicht nur ein Patriot und IRA-Sympathisant, dessen Bombenzünder sich großer Beliebtheit erfreuten, Patrick Finbarr O‘Gallovan hatte sich auch seine Taille mit sausage rolls, mushy peas und Guinness verhunzt.

Ich haute mit der Faust auf den Tisch. „Wie blöd kann man nur sein!“
„Wie? Hast du auch gerade den Online-Artikel über Trump gelesen?“, rief meine Frau aus dem Wohnzimmer, „Nun ärgere dich nicht schon wieder. Mach lieber was Schönes zum Essen. Ich habe Hunger. Was soll’s denn geben?“
Junge, Junge, das war das rettende Stichwort. Heute Abend werde ich die britischen sausage rolls und die mushy peas mit einer germanisch-iberischen Wurstrolle und passendem Kraut aus dem Universum kegeln.
„Lass dich überraschen“, rief ich zurück und federte ab in die Küche.
Da durchstöberte ich den Kühlschrank und suchte die passenden Essensreste zusammen für eine Bratwurstüberraschungsrolle, für eine roulé aux saucisses á la surprise.

Diese Essensreste habe ich mir auf den Arbeitstisch gelegt:
– Sauerkraut (vom Bratwurstgrillen)
– vier gerillte spanische Grillchorizos*, (mild, auch vom Bratwurstgrillen)
– eine halbe Minidose Tomatenmark (Champignon á la grecque) = 1EL
– 3 EL pikante Zigeuner- (oder Jäger -?) sauce (Fleischspieß , Grillen)
– vier Ringe einer angewelkten roten Paprikaschote (russischer Salat)
*Nürnberger und thüringische Bratwurstreste sind auch topp (vielleicht sogar noch topper).

Dies habe ich neu dazugelegt
– 2 Scheiben gefrosteten Blätterteig
– 100 g geraspelten mittelalten Gouda

Eh da jemand fragt: „Kam das Sauerkraut aus der Dose?“, hier die eindeutige Ansage: Natürlich aus der Dose. Im Sauerkrautfass mit nackten Füßen stundenlang herumzustampfen ist mein Ding nicht.
Und natürlich kam es nicht aus der Dose, sondern ich habe das Dosensauerkraut einige Tage zuvor essbar gemacht. Wie?

Ich habe mir einen passenden Topf, ein Schneidebrett und eine mehrseitige Reibe hingestellt.

Dann habe ich versammelt
– eine Speckschwarte
– 250 g Sauerkraut aus der Dose, die Flüssigkeit herausgepresst
– 70 g gestreiften Speck gewürfelt
– 0,1 Liter Fleischbrühe
– 0,05 Liter trockenen Weißwein (ordentlicher Schuss)
– 1 kleinen säuerlichen Apfel, geschält (für den Geschmack)
– 1 mittelgroße Kartoffel, auch geschält (für die Sämigkeit)
– 1 mittelgroße Zwiebel, gewürfelt
– 2 Lorbeerblätter
– 5 Wachholderkörner (1-2 EL Rosinen sind eine interessante Variante)
– ½ TL Zucker
– Kümmel (wenn ohne Rosinen) nach Bedarf

Dann habe ich
– in dem Topf die Speckschwarte bei kleiner Flamme ausgebraten.
– den Speck und die Zwiebel in dem Fett glasig werden lassen.
– das Sauerkraut hinzugepackt und mit zwei Gabeln auseinandergerissen.
– Lorbeerblätterblätter, Wacholderkörner und Kümmel untergemischt.
– alles mit der Fleischbrühe und dem Wein aufgefüllt.
– den Zucker hinzugegeben und alles 20 Minuten bei kleiner Flamme zugedeckt köcheln gelassen.
– die Speckschwarte, die Lorbeerblätter und die Wachholderkörner herausgesucht.
– den Apfel fein geraspelt, die Kartoffel fein gerieben, untergerührt und bei ganz kleiner Flamme und leichtem Rühren drei Minuten reifen lassen.

Da sind mushy peas nichts gegen, auch nicht die von Jamie Oliver, der diesen Brei mit gehackter Minze als Minty Mushy Peas zu vermarkten versucht.

Und damit kommen wir zu dem Rest. Der ist ein schlichtes Ding.
– Den Blätterteig rollen wir (aufgetaut!) in die passende Größe.
– Das Tomatenmark und die Zigeunersauce rühren wir zusammen. (Vertraue deinem Augenmaß).
– Auf je ein Blatt des Teiges legen wir drei Bratwursthälften, schmieren darüber die Sauce und toppen alles mit den Paprikastreifen.
– Jetzt zusammenrollen, die befeuchteten Ränder (Spucke ist Okay, wird eh alles im Ofen sterilisiert) zusammendrücken, den geraspelten Käse rüber und ab in den Ofen für 20 Minuten bei 190 Grad Ober- und Unterhitze.
Und dann das Ganze mit dem aufgewärmten Sauerkraut und zwei Flaschen, auf denen der Bremer Schlüssel silbern leuchtet, auf die abendliche Terrasse. Die untergehende Sonne lächelt, und die Nachbarn kräuselt neidisch die Nasen.

Was würde die Bonnie dazu sagen?

5 bonnies reaktion-gelb png
Na ja, vielleicht hat sie recht.

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