Russischer Salat
oder
Die Orgie in der Salatschüssel
Vorwort
Wo wir jetzt gelandet sind? Heute morgen beim Frühstück hat es uns gepackt. Wir wollen den Ort wechseln. Warum? Der Ziegenkäse war verschwunden. Ein letzter Biss und weg war er. Da war die Ardèche nur noch die Hälfte wert. Also Teppich zusammengerollt, Stühle sauber gefaltet, dem Navi verklickert, wo es lang gehen soll und los.
Ach, das neue Ziel? Der Tarn natürlich, der sanfte Bruder der wilden Ardèche. Richtung Alès nach Florac und dann über Ste. Enimie nach La Malène. Für einen Biker auf einem Bike ein Wahnsinnstraum, für einen Biker in einem Womo ein Wahnsinnstrip. Ja, geht’s denn noch kurviger, geht’s denn noch enger! Felsüberhänge, da denkst du, es reißt dir das Dach weg. Brücken so schmal, dass du dein Womo erst mal auf Diät setzen möchtest. Und dein Copilot, der weibliche, tritt unentwegt auf imaginäre Bremsen.
Und was macht der Mann? Schon Schiller war klar: Dramatik, dein Name ist Mann. Also kurz bevor die Liebe deines Lebens (ich meine eine Frau) in Schreikrämpfe verfällt, bevor sich also die dramatische Kurve zur Katastrophe hinabwendet, fährst du sanft rechts ran, verweist auf einen Aussichtspunkt hoch über dem Tarn, zauberst aus dem Eisfach zwei Magnum Infinity Chocolate, und dann seht ihr es tief unter euch liegen, das Chateau de Castelbouc.
Und wenn sie dann leise deine Hand drückt, weil die Schönheit des Landschaft und der Zauber des Augenblicks ihr Herz ruhiger schlagen lässen, dann seid ihr beide bereit für den Geist der Geschichte, der aus dem Canyon zu euch aufsteigen möchte.
Allerdings hat die Zeit von dem Castelbouc wenig zurückgelassen: die malerischen Reste des Dorfes, ein verfallener Turm und eben eine Geschichte, und die geht so:
Irgendwann im 11. Jahrhundert mussten die Bauern, die armen Jungs, für den Prior von Ste. Enemie eben diese Burg anlegen. Kaum war sie fertig, da kamen die Kreuzzüge in Mode und alles, was mannbar war, zog los in den Osten, um für Gott und die eigene Schatztruhe das Leben zu riskieren.
Alle? Nein, einer blieb zurück. Henri, polterte der Burgherr in Richtung seines jüngsten Sohnes, du bleibst hier und kümmerst dich um die Frauen.
Das war nun ein prächtiges Unbeispiel für präzise militärische Diktion und Henri, ein lausiger Ritter, den keiner neben sich im Kampf dulden wollte, hatte als Mann mehr als nur einiges zu bieten. Schon die Amme und das Küchenmädchen, als sie den noch kleinen Henri wuschen, bekochten und auch sonst verwöhnten, kicherten, wenn sie ihn nach dem Bad abrubbelten, ob seiner ausgeprägten Männlichkeit. „O là là,“ kicherten sie und stießen sich in die Seiten, „l’espoirs des dames“ – die Hoffnung der Frauen.
Und so war es kein Wunder, dass des Burgherrn Jüngster eine präzise Vorstellung mit seinem militärischen Auftrag verband, und sein spezieller Schutz riss die Burgfrauen und Burgfräulein fortan zu Stürmen der Begeisterung hin.
Allerdings: Der Kreuzzug und dauerte und dauerte, und es kam, wie es kommen musste: Bei einem flotten Vierer „son âme s’envola“, entflog seine Seele dem erschöpften Körper. Und bald nach seinem Tode sah man für drei volle Tage einen Ziegenbock, einen bouc, mit einer prächtigen Brunftrute und Trauflor an dem ausladenden Gehörn über der Burg schweben, und da ward ein großes Wehklagen unter den Burgfrauen (ein Burgfräulein gab es schon lange nicht mehr.)
Warum diese wortreiche Einleitung zu dem gleich folgenden Rezept? Weil es euch eine Warnung sein soll: Mâze ist ze allen dingen guot (Hugo vom Trimberg). Das gilt auch für die folgenden Kochanweisungen, die dem armen Schreiber manchmal aus dem Ruder gelaufen sind.
Und jetzt das Rezept.
Eigentlich ist der russische Salat eine Erfindung des französisch-belgischen Kochs Lucien Olivier, der mit diesem Salat (auch als Olivier Salat auf der Speisekarte zu finden) in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Russland einen echten Hit gelandet hatte. Leider hat Люсьен Оливье , wie er in Russland bekannt war, seine berühmte Salatsauce mit ins kühle russische Grab genommen. Aber erfolgreiche Nachbauten haben einen Siegeszug um die Welt angetreten. Die Spanier waren regelrecht verrückt nach diesem ‚ensalada rusa’. Das war für die Faschisten unter Franco natürlich ein Problem. Sie konnten den Salat nicht verbieten – waren sie ihm doch selbst verfallen – aber aus dem Kommunistensalat wurde ein ‚ensalada nationale“, bis die Geschichte diesen Namen den Bach runtergehen ließ.
Heute finden sich Rezepte in Griechenland, Spanien und Italien, in Frankreich, sogar in Guatemala und Uruguay (wo er – wie früher in Russland – Teil des traditionellen Weihnachtsessen ist) und eben auch in Portugal, wo ihn mir meine ‚portugiesische’ Schwester serviert hat.
Dieser Salat ist also erfreulich weltoffen und liebt das Experiment. So könntest du einsteigen, um zwei Personen glücklich zu machen:
Du holst dir zwei Bier – die wirst du bald brauchen – und dann greifst du dir
- 4 mittelgroße gekochte Kartoffeln
- ½ Zitrone oder 2 TLWeinessig oder 3 TL Balsamico
- 2 hart gekochte Eier
- 2 mittelgroßen Salzgurken
- 1 Paprikaschote rot oder grün
- 2 mittelgroße Tomaten
- 1 Dose Thunfisch
- 1 Zwiebel
- 1 Bund Schnittlauch
- 10 grüne Oliven auf dem Stein (sie sind aromatische als die gefüllte Glasware, aber die tut’s auch)
- 50g Mayonnaise aus der Tube (ist im Trend besser als aus dem Glas)
- ½ Becher Joghurt
- Salz
- Schwarzen Pfeffer
Wenn du noch nicht genug hast:
- 10 schwarze Oliven
- 2 Stangen gekochten Spargel (kann auch aus dem Glas sein)
Kaum hast das Gemüse ausgebreitet, merkst du: Vor dir liegt ein sinnliches Völkchen, das dich erwartungsvoll raunend anschaut. Dann hält es die Kartoffel, dieses schwellende Nachtschattengewächs, nicht mehr aus. Was flüstert sie da? „Gib’s mir“, flüstert sie erregt, „hack mich.“ „Mich auch“, stöhnt die Tomate. „Mich auch“, kiekst der Schnittlauch. „Und mich erst mal“. Die üppige Paprikaschote schiebt ihren molligen Bauch heran. Die Salzgurke wälzt sich total enthemmt in der Spreewälder Lake.
Jetzt hält dich nichts mehr. Ein schneller Schluck aus der Flasche und dann wirst du ganz Rasputin und hackst, was das Zeug hält.
Aus den Kartoffeln werden deutliche Würfel (10mm x 10mm), aus den Eiern eher undeutliche. Die Salzgurken breiten sich in Scheiben auf dem Hackbrett vor dir aus. Die mollige Paprikaschote verwandelt sich in elegante Ringe und schielt dich strahlend an. Und wenn du diese Ringe jetzt noch durch drei teils, dann ist die hellauf begeistert.
Die Tomaten zerlegst du kühn in zwei Hälften und machst sie total alle: Mark raus, Kern weg und dann in grobe Streifen gelegt. Der Schnittlauch kriegt, was er will: tausend kleine Hiebe mit dem Küchenmesser und die Oliven, die kleinen Biester, werden lustvoll in großen Spänen vom Kern gesäbelt.
Und die Zwiebel, dieses heiße Ding, hackst du bis zum Gehtnichtmehr. Wenn sie dir immer noch zu scharf ist, heißes Wasser rüber und schon wird sie ganz sanft.
Und jetzt setzt du noch eins drauf und schüttest das lose Völkchen in eine große Schüssel. Das gibt ein Kuscheln, das gibt ein Stöhnen. „Wir wollen mehr, wir wollen mehr“.
Kein Problem. Der Schweiß strömt dir von Brust und Schulter, kurz mit dem Bier gekühlt und dann den Thunfisch aus der Dose befreit, Saft weggepresst, bis ihm die Luft ausgeht, ihn in kleine Stücke zerrissen und runter unter die johlende Menge. Und wenn der Thunfisch nicht so ein faseriges Weichei ist, sondern von knackig-fester Qualität, dann johlen sie noch mehr.
Jetzt ist es soweit, jetzt ergießt sich der Zitronensaft in die brodelnde Menge und alles stöhnt in schaurig-schöner Ekstase.
Nun noch Salz und Pfeffer, schnell umgerührt und dann gibst du der gesamten Meute 30 Minuten, um sich auszutoben.
In dieser Zeit mischst du Joghurt und Mayo zu eine Sauce zusammen, räumst deine Küche auf – die sieht gar schrecklich aus – und hebst dann zärtlich die Sauce unter die schwer atmende Masse und am Schluss – noch zärtlicher – 2/3 der gewürfelten Eier.
Ruhe kehrt ein, ab, nur ab und zu ein wohliges Seufzen. Die restlichen Eier krümelst du als Dekoration über dein sinnenfrohes Volk.
Wenn du noch Kraft übrig hast, kannst du jetzt die schwarzen Oliven und den Spargel nach Lust und Laune dekorativ verteilen.
Dann rollst du dir eine Zigarette, greifst dir glücklich erschöpft das zweite Bier, setzt dich auf die Terrasse und freust dich über das nette Lächeln der neuen Nachbarin.
Und Tim ahnt es schon: Nach dem russischen Saltat sind endlich die bolos de bacalhau an der Reihe.