Carne de Porco à Alentejana – Schweinefleisch mit Muscheln

1.  Borstenvieh

Spanien 1970, irgendwo zwischen Burgos und der portugiesischen Grenze. Mit stierem Blick hängt Frank über dem Tankboy. Elke hat das Kinn auf seiner linken Schulter geparkt und lässt sich den Wind durch die Haare wirbeln. Valladolid durchgebraust, in Salamanca den Tank vollgeknallt. Dann weiter gebrummt und wieder fliegt das Vorderrad wie in einer Endlosschleife über die weißen Balken der Mittellinie – futt, futt, futt – die Augen rasten ein – futt, futt, futt – irgendwo lockert sich ein irres Kichern. Die BMW 51/3 kann es nicht sein. Die brummt gleichmütig geradeaus – futt, futt, futt. Eine kurzer Schlenker nach rechts, ein kurzer Schlenker nach links – Elke drückt ihren Frank sanft durch die Kurve – und weiter geht’s– futt, futt, futt. Ein Straßenschild huscht vorbei. Ciudad Rodrigo. Parador National. Tritt auf die Bremse. Futt, futt aus. Links hoch, und schon liegt sie vor dir, die Plaza Mayor.

Da ist der Bär los. Die Dächer voller Störche, die Plaza voller Menschen. Die Stimmung ist prächtig. Wir steigen ab und parken die BMW so, dass sie jeder bewundern kann.  Eine 51/3 mit einem Hoske-Büffeltank, das macht schon was her. Die Kinder sind begeistert, die Männer lassen ihre Frauen allein, die Frauen nippen gedankenvoll an ihrer Orangeade.
Und wie schön: Niemand ahnt, dass sich unter dem mächtigen Büffeltank dünne 24 PS schüchtern verstecken.

Blick auf die Speisekarte. „manitas de cerdo fritas“- Kurz den Minilangenscheidt konsultiert: frittierte Schweinehändchen. Na, das klingt doch gut. Und schon lächelt sich der Kellner heran. „Duas manitas de cerdo fritas“. Der Kellner zögert. „Esta seguro?“. Natürlich sind wir sicher. Frittierte Schweinehändchen sind doch super. Der Kellner zuckt ergeben mit den Schultern.

Und dann kommen sie, die süßen Händchen. Frittierte Schweinpfoten mit Borsten à la nature. Die Klobürste lässt grüßen. Dein Girl wird ganz grau und dir ist es so, als wäre über Nacht deine BMW zu einer Lambretta mutiert .

Also kurz die Lage analysiert, dann diskret die Serviette über die Pfoten des Ebers gleiten gelassen, für die borstigen Schweinefüßchen ein opulentes Trinkgeld auf dem Teller hinterlegt und den Weg durch die Menge gebahnt, die immer noch die 51/3 anbetet.

Die 51/3 – Hitze ist nicht ihr Ding. Hitze macht sie schläfrig. Hitze versetzt sie in einen Tiefschlaf, da ist das nachmittägliche Pädagogenkoma schon eine Art Gehirnjogging im Leerlauf.

Also cooler Tritt auf den Kickstarter. Grrrrrblubberblublub. Wieder ein Tritt und noch mal Grrrrrblubberblublub. Peinlich. Irgendwo im Zündbetrieb räkelt sich still und vergnügt der Kupferwurm. „Na, Junge“, kichert unser kleiner Schelm, „nun weck sie mal auf, die Alte, du kennst ja das Programm.“

Und ob ich das kenne.

Also –  Ärmel hoch gekrempelt und angeschoben. Kurzes Brummel Brummel Brööhr und dann wacht sie auf aus ihrer Siesta,– mit einem Röhren, da lacht die Seele und das Volk jubelt. Okay, so soll es sein. Aufgesessen, Arme hoch zum Abschied geschwenkt und dann ab nach Guarda. Und wohin in Guarda? Ins Restaurante Alfacinha, direkt an die Muscheltöpfe. Wenn schon Schwein, dann ein Portugiesisches.

2. Carne de Porco à Alentejana – Schweinefleisch mit Muscheln.
Zum ersten Mal habe ich diese geniale Kombination aus Meeresfrüchten und zartem Schweinefleisch im Jahre des Herrn 1958 in der Rua dos Correiros unweit des Praça do Comércio in Lissabon genossen. Mit meinen 15 Jahren konnte ich kaum meine Augen losreißen von den blauen Azulejos, die an den Wänden des funktionalen Restaurants von der vergangenen Größe Portugals kündeten.
Das letzte Mal hatte ich das „Carne“ im Jahre der Globalisierung 2006 in Lissabon heruntergewürgt. Die Rua dos Correiros war inzwischen Teil eines Fußgängerbezirkes, wie er heute ähnlich in fast jeder europäischen Innenstadt zu finden ist. Die Cervejaria Caracól gleich um die Ecke hatte die Holzspäne auf dem Boden durch quadratische Fliesen ersetzt und unser Restaurant das zarte Schweinefleisch durch sehnige Fettbollen – der Zauber des Carne de Porco à Alentejana war zum Grauen eines Touristenmenüs degeneriert.

Trotz der exotischen Zusammenstellung ist das „Carne“ ein übersichtliches Rezept, denn im Alentejo – und von dort kommt schließlich diese Köstlichkeit –  geht es bäuerlich-schlicht zu. Im Norden des Alentejo starren die prächtigen Stierkampfbullen im Sumpf stumpf, aber  malerisch vor sich hin, auf ihren Rücken die zierlichen Silberreiher, und im Süden dieser Region brummst du stundenlang durch würzige Pinien- und Korkeichenwälder Richtung Algarve.

Für diese Liaison von Meeresfrüchten der Algarve und glücklichem Schweinefleisch aus dem Alentejo brauchst du, wenn du zwei Personen in eine kulinarische Ekstase versetzen willst:

  • 200g Filet vom Schwein
  • 350g Venus- oder Herzmuscheln (auf keinen Fall Miesmuscheln, die haben zu viel Flüssigkeit und verwässern dir die ganze Herrlichkeit)
  • 1 EL Paprikapulver süß
  • ½ Tasse Olivenöl
  • 1 mittelgroße Knoblauchzehe
  • 1 mittelgroße Tomate
  • ½ l trockener Weißwein
  • 50g Schweineschmalz
  • 1 Lorbeerblatt
  • 1 Gewürznelke
  • ½ TL Koriander
  • 2 Zitronenviertel
  • Salz und Pfeffer
  • vier fette Petersilienstängel

Und so gehst du vor:

Du kippst das Olivenöl in eine mittelgroße Schüssel, zerquetscht die Knoblauchzehe mit der Presse und rührst sie zusammen mit dem Paprikapulver zu einer wunderschönen öligen Pampe.
Dann schneidest du das zarte Fleisch in Goulaschwürfel (Kantenlänge ca. 30mm), wirfst sie in die Pampe und vermischst alles genussvoll. Deine Hände sind glücklich und das Schweinfleisch quiekt vor Vergnügen. Diskret lässt du es eine halbe Stunde im Rausch der Sinne allein.
Nun siedelst du diese sinnliche Pampe in eine engere Schüssel um. Das Scheinfleisch wird es dir kuschelnd danken, und du verbraucht weniger von dem Weißwein, mit dem du jetzt alles bedeckst. Am Schluss noch die Gewürznelke und das Lorbeerblatt hinein geschoben und dann kann alles fünf Stunden ruhen. Wenn es sechs werden oder gar eine ganze Nacht, beklagt sich auch niemand, schon gar nicht das selige Schweinefleisch.
Nun die Venusmuscheln ins Salzwasser schmeißen, damit sie ihren Sand in den drei Stunden ausatmen können, und schon greifst du dir beschwingt deine Kleine und dein Bike und ihr beide schwingt euch zum nicht zu nahen Eiscafé, wo du in aller Ruhe deinen Amarenobecher löffelst, sie ihr Tartuffo. Den Grappa verkneift ihr euch. Dann schwingt ihr euch beide zurück zum trauten Heim. Sie kontrolliert die Bankauszüge und du schwebst ab in die Küche. Ach, kann das Leben schön sein.

Jetzt will die Petersilie zur ihrem Recht kommen. Sie ist ein schlichtes, aber lüsternes Geschöpft. Sie will das Ganze. Sie möchte nicht von einem Wiegemesser seelenlos massakriert werden, sondern du sollst sie mit deinem langen Küchenmesser Schnitt für Schnitt auf ihre Ursprünge zurückführen. Das gibt ihr den ultimativen Kick. Tu ihr den Gefallen. Sie wird dir als Dank ihr ganzes Aroma schenken.

Zieh der Tomate die Haut von den Rundungen, und würfele sie.
Inzwischen wartet eifersüchtig die Schweinepampe in der Schüssel. Also ein Sieb gegriffen, das Sieb auf eine Schüssel gestellt und die Pampe hingeworfen. Die Flüssigkeit wird aufgefangen und das Fleisch mit einem Küchenkrepp trocken getupft.
Irgendwie hast du es zwischendurch geschafft, in der großen Pfanne das Schweineschmalz anzuheizen. Wenn es anfängt zu rauchten, kippst du das Schweinefleisch in das heiße Fett. Kneife die Augen zu, das spritzt wie ein übellauniges Chamäleon. Brate alles ca. 2 Minuten von allen Seiten an und lösche dann mit einem Teil der Marinade. Nimm eher weniger als mehr. Korrigieren kannst du immer noch. Schmeiß die Tomatenwürfel hinein und brutzele alles unter Umrühren weitere 3-4  Minuten auf mittlerer Flamme.

Tipp: Ich lösche immer mit frischem Weißwein, aber jeder hat seine kleinen Schrullen.

Jetzt haben die Muscheln ihren großen Auftritt. Denen ist es eh schon zu kalt geworden in dem Salzwasser. Also rein in die heiße Pfanne und den Deckel drauf.  Nach zwei Minuten ein verstohlener Blick und siehe da, die meisten sind offen und zufrieden. Die geschlossen gehen ab in die Ökotonne.
Nun das Ganze mit dem Koriander und der Peterlilie bestreut und mit den Zitronenvierteln garniert und sofort aufgetragen. – pronto!

Die Portugiesen begleiten die Mischung gerne mit würfeligen Pommes. Ich bin ein passionierter Soßenwischer. Ich  serviere dazu ein Vollkornbaguette.
Wenn ein ordentlicher weißer Dão Wein greifbar ist, wäre das optimal, aber da fallen dir sicherlich  überzeunde Alternativen ein.

Epilog
Woher bekomme ich bloß Venusmuscheln?

Da bin ich echt überfragt (peinlich, peinlich). In den Flussmündungen Portugals führen sie ein glückhaft  schlammiges Leben, aber im Schlamm der Nordsee ist venusmäßig tote Hose. Hier drei Möglichkeiten:

1. Im Radius deines Bikes liegt ein Frosterzentrum. Da stehen die Chancen passabel. Das Waschen der Muscheln kannst du dir schon mal schenken.

2. Du vergisst die Muscheln und besorgst dir – so wie ich es oft tue –  eine italienische oder iberische (keine asiatische!) Meeresfrüchtemischung (Muscheln, Seespinne, kleine Kraken etc) In diesem Fall taust du 150g Meeresfrüchte auf. Such dir aber um Himmels Willen die kleinen Kraken heraus. Das sind harte Kerlchen. Mit dem Chopper rüber, Vollbremsung und Blick unter den fetten Schlappen: Da liegen sie und kichern.
Daher: Du brätst die Minikraken in etwas Schweineschmalz an, löscht alles mit einem kräftigen Schuss Weißwein und lässt die kleinen Kerlchen unter geschlossenem Deckel bei kleiner Flamme zehn Minuten allein mit sich und ihrem Suff.  Dann fügst du eine mittelgroße geschälte und gewürfelte Tomate hinzu und lässt sie etwas pampig werden.
Statt mit den kompletten Muschel vereinigst du jetzt die rohen Meeresfrüchte und die Minikraken mit dem Schweinefleisch, gibst den Meeresfrüchten noch die magischen zwei Minuten, um mit dem Fleisch warm zu werden, peppst alles mit der sinnenfrohen Petersilie auf und stellt die Pfanne auf den Tisch.
Jeder nimmt sich seinen Teil auf den Teller und zieht sein Brot durch du soßige Pfanne. – delicioso!
3. Du vergisst das Ganze  und schaust in einer Woche mal bei den Bifanas vorbei . Das ist ein fast food der Sonderklasse.

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