Teil 1
Ich bin also mit meiner Terrine an dem Ain gelandet, ich sitze in meinem packoptimalen und sportlich tief liegendem Campingmöbel, in das ich mit Schwung hineinsacke, aber nur unter unverschämten Protesten meines rechten Kniegelenkes und obszönen Pöbeleien des dritten Lendenwirbels – seit der von einem irischen Therapeuten gestreichelt worden ist, spricht er nur noch englisch – wieder herauskomme, rechts neben mir mein Bike, die Vordergabel sehnsuchtsvoll in Fahrtrichtung geneigt, über dem Lenker hängt lässig meine Jacke mit den üppigen Polstern, die sich um meine Sicherheit bemühen, kühn nach vorne gebeugt träumen die Zylinder vom
nächsten Tag, in meinen Ohren treibt Edna Brent mit einem Blues ihr melancholisches Spiel, ein Spiel, das mein Herz in alle Richtung hin und herknetet, die Kurven der Doubs und der Dessoubre schwingen nach in meiner Brust, die Flasche mit dem Rosé hebt sich schon deutlich leichter. Gerade leg ich noch eine Scheibe (une tranche! – Okay, okay!) auf mein Baguette, lasse meinen Cromarganbecher langsam Richtung Mund schweben, da passiert es:
Er und sie, Abendspaziergang. Verdauung ist angesagt. Tausend Schritte sollst du tun …
Sie leicht vorweg, er leicht hinterher, mit seiner kurzen Hose, irgendwie angekhakiet , mit seinem knappen T-Shirt, auf dem ein Panther durch die Lüfte hechtet. Sein Bauch (kein Pantherbauch) schwenkt leise von Ost nach West. Die Beine stehen in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu seinem Torso, die Augen, oh Gott, wie konnten sie leuchten, als er ihre Haare auf der Bonneville fliegen ließ, hängen schwer in ihren Tränensäcken: Ein Mann, in seinen nicht mehr besten Jahren.
Sie: Hager, in Jeans mit Stretch und verzierten Potaschen, ein Hauch von Farbe in der Bluse, der oberste Knopf geöffnet. Die Brüste schwenken leise von West nach Ost, von einem diskreten BH freundlichen empor gehoben. Die Augen smokey eyes, die Wangen mit einem Bronzer geliftet, die Lippen in dezentem nude: Da hat die Tochter der Mutter ein Schminktutorial angedeihen lassen
Das Lächeln, das sie mir rüber schickt – etwas Sehnsucht, etwas Frage, etwas Einladung? Meint sie mich? Meint sie mein Motorrad? Meint sie ihren Mann?
Ich weiß es nicht, aber ich freue mich über ihrem Blick.
Und schon segeln die beiden vorbei. Wenn sie sich umdreht, dann werde ich … ja, was werde ich?
Das ist ein kleines Geheimnis. Wer sich mal wieder enttäuschen lassen möchte, der schaue nächste Woche wieder vorbei.
Teil 2
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, ich erinnere mich.
… Und schon segeln die beiden vorbei. Wenn sie sich umdreht, dann werde ich … ja, was werde ich?
Meine noch vorhandenen Zähne reißen vergnügt einen Fetzen von dem Baguette à la Terrine, schnurpsen dazu genussvoll ein Radieschen, und der Rosé in dem Cromarganbecher findet seinen Weg von selbst dorthin, wo er erwartet wird.
Sauwohl fühle ich mich. Total bärig, um nicht zu sagen, einfach göttlich.
Ich greife mir mein Handy. Oh Gott, wie war noch die Pin? Wunder über Wunder. Mein Pinvorschlag wird akzeptiert. Immer wieder ergreift mich Begeisterung, wenn das Okay kommt. Letzte Fonwahl? Super, passt. Und schon streckt mein Ein-Euro-Handy mit einem schnarrenden Röcheln seine weitreichenden Finger aus bis in das ferne Oldenburg.
Was will es in Oldenburg? Dort sitzt eine Lady, die mir sehr am Herzen liegt – denn die kennt den Wetterbericht für den nächsten Tag und hat auch sonst einiges, was ich sehr schätze.
Hi, wo geit di dat, min deern?
Zu meiner Überraschung geht es ihr gut. Und warum geht es ihr gut?
Ihr geht es gut, weil sie sich heute Abend ungestört zwei Verfilmungen von Jane Austens „Sinn und Sinnlichkeit“ reinziehen wird.
Und warum geht es ihr noch gut?
Weil neben ihr ein kulantes Stück sächsischer Bienenstich steht, dazu ein weißer Port, die Beine hoch und Jane Austen. Was willst du mehr zu deinem Glück.
Totale Ernüchterung. Mein Ego schwächelt (schon wieder), irgendwie wird irgendwo leicht säuselnd die Luft herausgelassen. Der Neid – oder ist es die Sehnsucht – krampft in meinem Herzen.
Oh Mann, diese bequemen Sessel, in denen sie sich jetzt räkelt, dieser Bienenstich mit seiner delikaten Mandelfüllung …
Meine Terrine schaut mich fragend an. „Is was“?
Ich knurre. Irgendwas fehlt mir. Ist es die Frau im fernen Heim, ist es der bequeme Sessel, ist es der Port?
Es ist natürlich der Bienenstich, mein mütterliches Erbe, der Kuchen, der selbst verregnete Nachmittage zu einem Erlebnis werden lässt, der Nachtisch, der Licht in das beginnende Dunkel bringen könnte.
Ich schließe meine Augen, konzentriere mich auf das unendliche Om – den Urklang, das Stürzen des Wassers in Schaffhausen, das Jubeln der Lerchen im Mai hinter dem Deich, das gleichmäßige Surren der vier Zylinder meiner Suzuki zwischen Locarno und Domodossola.
Und Stille ward es in der gequälten Seele, die Ruhe des allumfassenden Sein zieht ein in das zerzauste Ich, und mit ihm gleitet heran ein Traum. Und der Traum heißt ‚Heimat’. Und der Held dieses Traumes ist eine Flasche Rosé, auf der ein sächsischer Bienenstich dahersegelt. Ich klatsche vor Freude die Hände zusammen. Da sehe ich, der Bienenstich ist kein Bienenstich. Der Bienenstich ist meine Mutter, die mich auf der Flasche Rosé umkreist.
. Legere sitzt sie dort in lockerer Bluse, aber fest eingeschnürt in ihrem Korsett, die Lippen ein feiner roter Strich, die Augen smokey.
„Da bist du ja, mein Lämmchen“, schnurrt sie und räkelt sich in ihren Strechjeans. Bläuliche Flämmchen züngeln aus den Jeans, bläuliche Flämmchen züngeln aus der Bluse, irgendwie drängt sich ein Korsett in den züngelnden Kleiderreigen und alles, Jeans, Bluse und ein umherirrendes Korsett schmelzen in glitzerndem Funkenflug dahin, und das lange Haar fliegt entfesselt im Nachtwind.
Ich reiße entsetzt die Augen auf, die Flasche Rosé kriegt einen Tritt. Das Knie schreit wie am Spieß, die Obszönitäten des dritten Lendenwirbels treiben mir die Schamröte ins Gesicht.
Ich wanke zu den Seitenkoffern, wühle verzweifelt, und schon ist die Stirnlampe über den Kopf gestülpt, der Notizblock gegriffen und ein Kuli. Jetzt hilft nur eins. Jetzt muss alles von der Seele geschrieben werden.
Und damit kommen wir zu dem Rezept –
– das heißt, wir könnten zu dem Rezept kommen. Aber die Erinnerungen schnüren mir die Kehle zu. Tränenblind kann ich nur den Rechner herunterfahren und darauf warten, dass ich in einer Woche die Augen wieder frei haben werde.
Teil 3
Wenn ich an meine Mutter denken, denke ich an dieses Korsett, das mich mit seinen vielen Haken und Ösen verwirrte.
Ich denke an ein Aalessen in Bad Zwischenahn, wo der Kellner ihr erklärte, wie dem Räucheraal professionell die Haut über die Ohren gezogen wird. (Un nu den kopp wechknicken un de huut aaftrekken) und wie man sich anschließend in einem dezenten Strahl Köhm die Hände entfettet.
Ich denke an das Greyhound Stadion in Cork, wo sie erregt flüsternd auf einen zausigen Vierschröter zeigte. Sein brauner Bart reichte von Ohr zu Ohr, sein Haupt umweht von entfesselten braun-roten Haaren, durch die unter Büscheln von Augenbrauen zwei grau-grüne Augen voller Liebe einen muskulösen Greyhound umfingen, dass einem Angst wurde um Sitte und Moral.
Und ich denke eben an diesen Bienenstich, denn dieser Bienenstich war eine ihrer Schätze, den sie vor vielen Jahren von einem Deutschland in das andere Deutschland herüberrettete. Und dieser Schatz, so denke ich gern, war sicher versteckt unter mir und meiner Windel in dem Kinderwagen, den meine große Schwester grollend („Immer muss ich diesen Scheißer schieben!“) über die nächtliche Grenze schob.
Und damit kommen wir endgültig zu dem Rezept. Dieser Bienenstich ist eine schlichte Angelegenheit, aber voller kulinarischer Wucht.
Für den Boden nehmen wir
- 150 g Mehl
- 75 g Zucker
- 30 g Margarine
- ½ Tütchen Backpulver
- 1 Ei
- 2 Eihälften voll Wasser
Das Kind im Manne lässt auch gerne mal das Backpulver weg, um dem Belag mehr Spielraum zu geben.
Für den Belag nehmen wir:
- 150 g Butter
- 150 g Zucker
- 200 g gemahlene Mandeln oder Haselnüsse
- 1 Esslöffel Honig
- Saft einer halben Zitrone
- 3 Eigelb
- 2 Tropfen Bittermandelöl
- 1 Vanille Zucker
- Eischnee aus 3 Eiweiß
Tipp: Für meine Mutter musste ich immer die Mandeln schälen (Dafür ließ sie mir einen großzügigen Teigrest zum Auskratzen in der Schüssel).
Das Schälen war ein großer Spaß: 2 Minuten die Mandeln in sprudelndem Wasser kochen lassen, dann abschrecken, ein kurzer Biss in die Mandelspitze, ein kurzer Druck mit Daumen und Zeigefinger am anderen Ende, und die Mandel jumpte ins Freie.
ABER: Mit der Schale schmeckt die Mandel eben anders. Da sag ich nur: Probier es aus.
Aus Zutaten oben bereiten wir den Boden; pressen ihn mit liebender Hand in der Springform (ø 28-30cm) glatt. Damit es auch kein Unglück gibt, stechen wir ein paar Mal mit der Gabel rein.
Für den Belag bringen wir die Butter im Topf auf der Herdplatte zum Schmelzen und lassen sie auf warmer Herdplatte stehen – ihm Topf natürlich. Wir fügen die restlichen Zutaten hinzu und rühren sie flott unter. Zum Schluss heben wir unter das Ganze vorsichtig den Eischnee und füllen diese Masse auf den Tortenboden, der erwartungsvoll in der Springform lauert.
Backzeit: 45 – 55 Minuten bei 180 °C auf mittlerer Schiene.
Wenn du diesen Kuchen als Knüller einer Geburtstagsfeier bei deinen Bikern herumreichst oder in einem Kollegium voller Lehrer oder im Altersheim, sieh zu, dass du immer ein paar Kopien des Rezeptes dabei hast. Sie werden dir aus den Händen gerissen.
So nett beschrieben habe ich ein Rezept für den sächsische Bienenstich, den ich auch so sehr liebe, noch nicht gefunden !! 🏍🏍🏍🏍🏍