Teil I
Camping des Tunnels, Vallon Pont d’Arc, im frühen Juni 2009.
E-Mail eines einsamen, aber nicht unglücklichen Herzen an seine Familie.
Hallo, ihr Lieben,
30 km im Kajak auf der Ardèche – mein Kreuz ein Haufen verklemmter Wirbel, mein Po das Abbild eines Harzer Rollers. Beide zusammen ein Duo infernale. Schreit der eine Zeter!, giftet der andere Mordio! Und das Schräge: Der Po, schon längst nach den 1532 Kilometern von der tiefsten norddeutschen Tiefebene bis in die wilden Schluchten der Ardèche durchgesessen wie ein Tartarensattel, hat sich einige bizarre Falten zugelegt.
Woher ich das weiß? Ich habe meine Augen überall.
Was mach ich nun?
Ein Public Viewing via youtube?
Ich poliere die Linse vom Notebook und lockere den Gürtel.
Oder soll ich den Po liften lassen?
Ich google Berlusconis Privatnummer.
Oder erst Spontan-Public Viewing, dann Po-Liften, und dann Public Viewing II?
Und anschließend die ganze Facebook-Meute füttern?
Mein Gott, ich sitze hier auf meinem Campingmöbel zehn Zentimeter über Grasnarbe – okay, okay, ich kann das herumwütende Kreuz verstehen – links im Gras der Bordeaux (in der Flasche!), zwischen den Beinen mein Notebook – die Ameisen sind von dem Display begeistert – rechts im Gras das Baguette au Jambon –
und niemanden da, mit dem ich meine Probleme besprechen kann.
Mitten hinein in die Grübelstille meldet sich im linken Bein eine Sehne zu Wort. Die kannte ich noch nicht. Ihre Stimmlage: hoch und klagend, ihr Modulationsbereich: gradlinig, aber leichtes Tremolo.
Was will mir diese Stimme sagen?
Kacke, will sie sagen und vieles mehr, was mein scheues Keyboard schamhaft verschweigt.
Und dabei war das ein traumhafter Tag. Warum er das war? Weil: Der Fluss ist ein Traum. Allerdings ein weiblicher, denn der Fluss (nicht umsonst sprechen die Franzosen von la rivière) hat – wie die meisten schönen Träume – eine weibliche Seele. Das ist oft ein Kompliment, aber nicht immer.
Du hast dich verliebt, sagen wir mal, in diesen Fluss, gleitest dahin in deinem Kajak. Die Wasseramseln flitzen subaquatisch hinter ihren Lieblingswürmern her, Hermann Hesses Seele schwingt sich mit einem geflüsterten OM durch die überhängenden Zweige der Platanen, ein Traum (s.o.) ist gerade dabei, wieder einmal wahr zu werden – und boom, da stellt dir der Traum, also der Fluss, also eigentlich die Flüssin, ihr steinhartes Bein.
Dieses Jahr ist hier Trockenheit angesagt. Wo ist das Wasser? Nirgends ist das Wasser, also fast nirgends.
Dafür überall Steine, die sich im wahren Leben als Felsbrocken zu erkennen geben.
Wo ist die Ardèche vom letzten Jahr?
Die ist nicht nirgends. Die ist immer noch hier, aber die ist nicht wiederzuerkennen.
Und schon geht’s los.
Die erste Stromschnelle („Charlemagne“ – die Franzosen mögen’s immer eine Nummer zu groß) erkenne ich erst, als ich taumelnd wieder raus schieße.
In Karls steinigem Maul lauern zwei Zähne, die der kluge Mann (und natürlich auch die kluge Frau) links umfährt.
Von den beiden Zähnen keine Spur, dafür grinst mich ein Wald von Zähnen an, und schon hat Charles mich gepackt.
Hilflos hänge ich in seinen Fängen, bis er sich an die deutsch-französische Freundschaft erinnert und mich wieder ausspuckt.
Ich schieße jubelnd den Fluss hinab. Da schlägt sie zu, die Flüssin, erbarmungslos – und eröffnet mir die Chance zu demonstrieren, dass ein echter Biker und echter, will sagen langjähriger Ehemann auch in den tödlichsten Situationen seinen kühlen Kopf nur ganz selten verliert (Kichert da jemand?). Und das kam so:
Der Dent d’Ardèche, der Mörderzahn. Mordopfer allenthalben.
Kurz anvisiert, rechts am Zahn vorbeigeschossen, Jubel im Quadrat. Es hat geklappt. Kurzes Lächeln – und dann Krach! Die Felsbarriere unter und über dem Wasser, wo kommt die her? Doppelkrach. Das Kajak hängt schief, ich noch schiefer.
Paddel hoch geschmissen, mit kräftigem Biss der kräftigen Kinnladen Paddel gesichert, aus dem Boot gesprungen, das Boot auf die Felsbarriere geschleudert, hineingesprungen, die Kinnladen geöffnet, Paddel in die griffbereiten Fäuste fallen lassen, raus aus dem Chaos.
Aus dem schäumenden Wasser taucht sie empor, die Hand: Die Daumen hoch. Die Flüssin nickt anerkennend.
Und dann sich einfach treiben lassen zwischen den Canyonwänden, von Höhlen und Überhängen durchsetzt, den kreisenden Milanen zuschauen, die plötzlich herabstürzen und – wenn sie Glück haben – mit einem Fisch in den Krallen wieder emporsteigen, faul auf der Kiesbank liegen und die Sandwichs (Das ist Französisch, Mann!) verdauen (paté de forrestier, saussicon d’Ardèche und ein Ziegenkäse aus der Auvergne – man sollte sich in Frankreich niederlassen).
Jetzt sitze ich vor meinem Zelt, und da ich dies alles niemandem erzählen kann, schreibe ich euch diese Mail.
Den zweiten Ziegenkäse, den ich im Motorradkoffer mit den anderen Wertsachen eingeschlossen hatte, hat sich in der Hitze selbstständig gemacht, und sich mit meinem T-Shirt angefreundet. Noch nie habe ich mit so viel Genuss ein T-Shirt leer gekaut.
Ich wünsche euch einen schönen Abend. Ob meiner schön wird, ist ungewiss. Hier ist die Pizzeria festlich gedeckt. Angesagt ist eine „soirée de rock’n roll“ – ich glaube, ich werde mich in meinen Schlafsack unter der nächsten Brücke einrollen.
Grüße
Frank-Raymund
Nachwort:
Nachwörter kommen immer hinterher, weil sie kaum jemanden interessieren. Das können wir getrost auf die nächste Wochen verschieben.
Teil II
Das Nachwort ist total stinkig und hat den nun wirklich unschuldigen Rechner pausenlos vor seine binären Schienbeine getreten. Der ist jetzt total stinkig auf mich und rödelt erst umständlich wie eine alte Dame durch die Tiefen seiner Schächte, bis er mir mein geliebtes Desktopbild aufbaut.
Und irgendwie haben die alle nicht Unrecht. Dieses Nachwort ist sozusagen systemrelevant. Ohne dieses Nachwort würde niemand den Zusammenhang raffen zwischen Traumfahrt auf dem Fluss und Ratatouille .
Und dies ist nun das Nachwort:
Ich habe mich nicht unter einer Brücke in den Schlafsack eingerollt. Ich war in Vallon Pont d’
Arc im Le Quetzal: Lammbraten mit Ratatouille. Der Lammbraten, ich sage nur Irène mit drei Sternen,
Das Ratatouille, das Urteil für den Koch vor einigen hundert Jahren wäre eindeutig: Öffentlich die Gelenke zertrümmern, ausweiden, vierteilen.
Ein Ratatouille ist kein geduldiges Wesen, das sich von einem verblödetem Koch auf dem Herd erbarmungslos foltern lässt, bis auch der letzte der verblödeten Gäste seinen Begrüßungsaperitif heruntergenippelt hat.
Ein Ratatouille möchte mit einem jugendlichen Schwung knackig und frisch aus der Pfanne springen. Und wenn es eine intime Beziehung mit einem Thunfisch wittert, wird es regelrecht hemmungslos.
Ratatouille (custom made) für zwei Personen
Meine Variante ist ein einfältig Ding, das du in jedem ordentlichen Supermarkt oder bei jedem Türken zusammenkaufen kannst. Du brauchst
- 1/3 oder weniger einer Fenchelknolle grob gewürfelt
Frage: Was machst du mit dem Rest?
Antwort: Daraus machst du eine schwule Pasta - 1 kleine Zucchini in Scheiben geschnitten
- 1 kleine Aubergine in Scheiben geschnitten
- 1/2 Paprikaschote in halbierte Ringe geschnitten.
- 3 Knoblauchzehen klein gehackt
- 1 mittelgroße Zwiebel grob gewürfelt
- 1 große Tomate gehäutet und ganz grob gewürfelt
- Schuss Weißwein
- 2 EL Tomatenpesto (Herstellung siehe unten)
- Salz und Pfeffer
- Oregano-Thymian-Rosmarin-Salbei-Majoran
Insider wissen: Ob man Auberginen vor dem Zubereiten salzen soll, ist heiß umstritten. Die Züchter haben der Eierfrucht die Bitterstoffe ausgetrieben – leider euch den deftigen Geschmack. Bei einem Eintopf wie der Ratatouille kannst du dir das Salzen auf jeden Fall schenken.
Und damit geht’s los:
Zwiebeln und Knoblauch andünsten,
Fenchel anbraten und 1 Minute bei geschlossenem Deckel köcheln lassen.
Dann die Zucchini hinzufügen und die Gewürze und schnell den Deckel wieder drauf..
Alles 3-5 Minuten dünsten.
Deckel öffnen, Hitze hoch stellen, nach einer Minute einem Schuss Weißwein rein, dass es zischt und dann den Pesto unterrühren, die Tomaten hinzufügen, salzen und pfeffern und den Parmesan herunterheben.
Alles mit geschlossenem Deckel beiseite stellen (Kann 5 Minuten bis zum Servieren stehen.
Pesto kannst du kaufen, und der ist nicht einmal schlecht, aber als echter Biker, der seinem Bike nach vielen fantastischen Fehlversuchen eine eigene Note verpasst hat, die sich mit der manchmal übersensiblen Technik versöhnen kann, heißt auch hier dein Motto: custom made. Also holst du dir deine eingelegten Tomaten aus dem Keller …
Was, wie, was war das? Ich soll eingelegte Tomaten im Keller haben? Ich hab’ nich’ mal ’nen Keller!
Okay, okay, kauf dir erst mal ein Tomatenpesto, und wenn du in zwei Woche wieder zur Ruhe gekommen bist, verrate ich dir, wie die eingelegten Tomaten – nein, nicht in deinen Kellern, den du ja nicht hast – in deinen Kühlschrank kommen. Wenn du den auch nicht hast, dann buddle dir ein kühles Erdloch in der Nähe deiner Kochstelle.