1. Die Anfahrt
Kennst du das? Du lebst mit einem Menschen zusammen, der dir mehr ist als dein eigenes Leben, so dass sogar die Götter wehmütig flüstern:
Ihr macht zusammen tolle Sachen, manchmal auch verrückte Sachen. Das sind dann die tollsten Sachen. Aber dann kommt der Moment, wo du denkst: Jetzt klink’ ich mich mal aus. Nicht für alle Ewigkeit. Katastrophe!!! Ne, nur mal so für ’ne Woche. Nur mal so kurz aus der Bahn hechten. Nur mal ganz allein den Tag bestimmen. Nur mal einfach den Anker kappen und sich von den Gezeiten treiben lassen.
Ganz allein? Natürlich nicht. Ohne dein Bike läuft da gar nichts. Und wenn ihr beide wieder zu eurer Basis zurückkehrt, zu der mit der schönen Nase* und dem Lachen, dass dich schon vor, ach Gott wie viel Jahrzehnten? für alle Zeiten gefangen hat, ja dann weißt du, was Glück sein kann.
Also runter in den Keller oder rauf auf den Boden und alles gepackt, rüber über den Bodensee, über den immer noch winterlichen Flüela Pass, vorbei an Zwerenz. Umbrail Pass gesperrt. Da gibt’s nur eins: Ab durch den Munt la Schera Tunnel.
Vor dem Tunnel wartet ein alter Knacker mit dir zusammen auf Grün. Der ist fast so alt wie du und ist hier mit dem Fahrrad hoch, im Nähmaschinentritt. Sauber, denkst du, du bist mit deinen schrägen Träumen nicht allein.
Nach 15 Minuten Austausch von Altersweisheiten entschließt sich die Ampel zum Farbwechsel und es geht weiter: Durch den abenteuerlichen Tunnel aus der Pionierzeit des neuzeitlichen Tunnelbaus, vorbei an Livogno, über den Passo d’Eira und den Passo di Foscagno, und dann gehen die Handgelenkte in einen Sitzstreik über.
Wie sie das machen? Das bleibt dein kleines Geheimnis.
Du konsultierst dein Navi. Dein Navi hat heute einen guten Tag (beflügelt von einen Schoppen Fendant du Valais hast du ihm gestern wieder mal ein Update versprochen, da fliegt es jedes Mal drauf rein.), und schon läufst du im Campingplatz La Pineta in Valdidentro ein. Wie der es geschafft hat, sich in das Navi zu schummeln, ist auch ein kleines Geheimnis, aber der kleine Platz ist ein Traum. Man spricht nur Italienisch.
Und am nächsten Tag landest du am Lago d’Idro. In Caffaro auf dem Pian d’Oneda richtest du dich häuslich ein. Am Abend laufen hier die Männer mit vier Pizzapacks durch die Gegend. Zum Wohnmobil, zum Wohnwagen, zur Müllcontainer.
Du kommst mit nur einem Pack zu meinem Zelt. Deine Pizza? Eine Pizza familiare. Pilze, Artischocken, schwarzen Oliven und Mozarella tummeln sich auf einem Riesenviech von krossem Teig. Wie sollst du das Viech auf deinen Knien schneiden? Du rollst sie – die Pizza, nicht die Knie – zu einer Riesenpizzaroulade zusammen und beißt rein – Mann, tut das gut – und spülst mit einem Bardolino nach, das tut noch guter.
Auf der Schaukel schrägt gegenüber schwingt träge ein Mädchen mit kecker Brust. Der Abend ist lau und die kurze Hose knapp geschnitten. Sie hat sich das Schaukelbrett zwischen die Beine geklemmt und greift mit den Armen an den Querbalken.
Schön sieht das aus..
Plötzlich, ohne Vorwarnung, dreht sie ihren Kopf in deine Richtung. Du fühldt dich ertappt und denkst krampfhaft an deinen grauen Bart und deinen kahlen Kopf, aber was kannst du tun gegen deine Träume!
Also, bevor es brenzlig wird, mach ich erst mal eine Pause. Und nächste Woche geht es dann auf die Tour, die zu den Spaghetti führt.
2. Die Tour zu den Spaghetti
Zum Frühstück ein cornetto naturale und schon empfängt dich der Bock mit leuchteten Augen. Der Auspuff blinzelt dich an, der Gasgriff wirft dir Kusshändchen zu. Und die liebe Sonne … Was für ein Morgen!
Was flüstert dir dein immer noch gut gelauntes Navi: Riva di Garda, Passo di Tonale, dann Passo di Gavia. Ihr schwingt euch am Garda See vorbei nach Norden. Pinzolo. Am Ortausgang. Tritt in die Bremsen. Links erhebt sich ein erdverwachsenes Gotteshaus von einigen tausend Jahren. An den Wänden balgen sich Tod und Teufel um die Seelen von Papst, Kaiser und dem, was man heute politische Klasse nennt. Das musst du dir genauer anschauen.
Aber: Wie kommst du in die Kirche rein? Du rüttelst an den schweren Holztüren. Alles zu. Zuer als ein Grab.
Blick im Kreis: Zwei ältere Frauen pflegen ein Grab, die weniger Alte geht zum Wasserhahn, die ganz Alte bleibt zurück. Du fragst sie, ob man die Kirche besichtigen kann. Sie schaut dir mit freundlichen Augen gespannt auf den Mund. Ein unsicheres Lächeln. Du weißt: Sie hat ihr Hörgerät zu Hause gelassen.
„Parla a mamma.“
Dein Hirn dreht im Leerlauf. Dann macht es „klick“: Mamma ist die weniger Alte . Du gehst zu der Frau am Wasserhahn, die Alte folgt. Du stehst vor beiden Frauen. Beide schauen dich gespannt an.
Du fragst die weniger Alte, ob man die Kirche besichtigen kann.
Si, si, naturalmente, man kann, da muss doch irgendwo ein orario sein.
Ihr sucht die Öffnungszeiten. Die sind abhanden gekommen.
Vielleicht am Nachmittag. Du sollst Signor Moncalli fragen.
Mein Gesicht ein Fragezeichen.
Das ist der ältere Herr, der mit seiner schiefen Schulter die Kirche pflegt.
Sie hinkt mit einer schiefen Schulter um das Grab. Plötzlich leuchten ihre Augen auf, Sie kommt ganz nah.
„Er trägt einen Schlapphut und hat einen weißen Bart“, – ihre Hand schießt zu deinem Kinn und krault lustvoll in deinem Sechstagebart –„so einen.“
Die alte Mamma kichert wie ein junges Mädchen, die nicht ganz so alte und du, ihr lacht euch an.
Weiter über den Passo del Tornale. Eine An- Und Abfahrt zum Träumen, der Pass ein Alptraum. Du willst mal sehen, wie eine Landschaft aussieht, wenn das Kapital sie durch den Wolf gedreht hat? Hier ist die erste Adresse
Da lobst du dirr den Gavia Pass. Die Auffahrt ein einziges Abenteuer, die Abfahrt ein Trip durch die Kurvenhölle. Oben überall Schnee und kalter Wind, aber im Nacken tummeln sich die Schweißtropfen.
Und abends aufs Klo. Noch ein Abenteuer. Auf dem Campingplatz nur gabinetti alla turca alias Hockklos und eine immer verkackte Sitztoilette. Dem senioralen Biker, der auf seinen Arthroseknien in Tieflage balanzierend mit Genuss seinen Darm entleeren will, sieht sich da einer Handvoll technischer Probleme gegenüber.
Okay, wenn du jung bist, ja dann ist das ein echtes sportliches Vergnügen:
Aber wenn du nicht mehr so jung bist und nicht auf das verkackte Klo willst, dann brauchst du ein Kloassisten für Kniegeschädigte auf 400 Euro Basis.
Aber ich verliere mich hier in Einzelheiten, die von keiner übergeordneten gesellschaftlichen oder ästhetischen Relevanz sind. Daher mache ich hier eine Pause. Vor allem muss ich morgen erst einmal das Rezept auf dem Herd ausprobieren. Dückt die Daumen, dass es klappt.
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* Schöne Nase? Dazu mehr bei den Fish’n Chips in zwei oder drei Wochen
3. Die Spaghetti
Deine kleine Freiheit neigt sich dem Ende zu, auf deiner Isomatte flüstern deine Träume von einem weißen Bett mit einer Toilette gleich neben an. Da wachst du auf. 3 Uhr 45. Deine Blase ist unerbittlich: Sie will wieder von dir aufs Klo geführt werden. Du murmelst was von „Blasentransplantation“ und schleppst dich zum gabinetto.
Am nächsten Morgen ist klar: Die Zeit der kleinen Freiheit ist um. Das weiche Bett ruft. Du willst nach Haus.
Und eine Stunde später hängst du auf deinem Bock. Die Knochen sind wieder sortiert und ihr rollt über den Passo del Bernina zum Flüela Pass. Was für ein Abschluss. Im Gepäck die Erinnerung an die Sonne Italiens, das Rezept für die Spaghetti di Scoglio und eine Flasche mit dem süffigen Bardolino, um dich herum alpine Natur. Rechts und links der Straße steigen die Schneefelder an und ziehen sich hoch bis in die Wolken. Durch die Kurven jaulen die Biker auf ihren Böcken die Passstraße hoch. Dazwischen blubbert eine Harleymeute. Die wird auch irgendwie ihr Ziel erreichen.
Und drei Stunden später ist der Traum vorbei. In Singen hast du noch bei deinem Lusitanier einen Sack Meeresfrüchte gekauft und schon bist du zu Haus.
Da wartet nicht nur deine Braut auf dich, da wartet auch die Küche. Die ist ganz neugierig.
Hast du mir was mitgebracht? fragt sie.
Ist doch Ehrensache, sagst du und haust ihr das Rezept für die Spaghetti auf die Herdplatten.
Die Gute gerät ganz aus dem Häuschen und am nächsten Tag geht es los.
Du hast für das Unternehmen 40 Minuten geplant (siehe unten Tipp 3) und versammelst in der strahlenden Küche an
Hardware
- 1 große Pfanne mit Deckel
- 1 kleine Pfanne
- 1 großen Topf
- 1-2 nicht ganz so große Töpfe
- 4 Schüsseln für die Kleinteile (Tomaten, Petersilie, Tintenfische, Knoblauch – alles zerlegt)
und an Foodware für 2 reife Personen (für den jugendlichen Schlund +50g auf die Kernzutaten)
- 200 g Spaghetti
- 200 g kleine Tintenfische (Calamares)
- 400 g Miesmuscheln
- oder 200 g Venusmuschen und
- 200 g Miesmuscheln
- 6 Garnelen oder 4 Langustinen (Scampi)
- 1 große Tomate geschält und gewürfelt
- 5 Knoblauchzehen
- 10 dl Weißwein
- Fischbrühe (kaufen oder siehe hier), wer will, kann hier auch Weißwein nehmen.
- Olivenöl
- ein Strauß Blattpetersilie gehackt (Du erinnerst dich: Die Persi will mit dem Küchenmesse gehackt und nicht mit einem Wiegemesser zerquetscht werden
Die Tintenfische säubern, ausnehmen (Wie das geht? Das liest du hier oder siehst du da), die Tentakel von den Köpfen säbeln und die Körper in Ringe schneiden.
In der großen Pfanne vier klein gehackte Knoblauchzehen andünsten, die Tintenfische hinzugeben, unter Wenden 3 Minuten braten, bis sie weiß werden. Die Petersilie hinein, dass es ihr heiß wird, dann Wein drauf und aufkochen, beiseite stellen und warm halten.
Die Muscheln
Wenn du sie in Dundrum Bay oder bei Hooksiel gesammelt hast: Klopf die Venusmuscheln einzeln auf einem Holzbrett durch. Was will dir der schwarze Fleck unter der Muschel sagen? Schmeiß sie weg, will er sagen, diese Muschel ist voller Sand.
Und dann kannst du beruhigt die Muscheln mit einem Schuss Weißwein in getrennte Töpfe geben, erhitzen, bis sie sich zu öffnen beginnen. Schnell runter vom Herd, Flüssigkeit in ein kleines Gefäß gießen, die Muscheln warm stellen.
Die Schaltentiere
Die aquatischen Krabbeltiere schmecken eigentlich am besten kalt, etwa so, aber das müssen wir jetzt als eine Totalität des kulinarischen Seins verstehen. Also:
Langustinen vom Schwanz her bäuchlings aufschneiden und den schwarzen Darm mit Hilfe eines Zahnstochers (Streichholzes) herausziehen (Der mittelalterliche Henkersknecht horcht interessiert auf.). Garnelen am Rücken einschneiden, den Minidarm lässt du drin.
In einer Pfanne eine gehackte Knoblauchzehe andünsten und die Schalentiere von allen Seiten anbraten. Je nach Größe 2 bis 5 Minuten.
In der Zwischenzeit die Spaghetti kochen. Fünf Minuten ins sprudelnde Salzwasser, dann abgießen und abdampfen lassen und über die Tintenfische geben, mit dem Muschelsud und ein oder zwei EL Fischbrühe oder Weißwein auffüllen und in 5 Minuten zu Ende garen lassen. Wenn da noch zu viel Flüssigkeit in der Pasta hängt, lässt du sie bei offener Pfanne einkochen.
Jetzt die Muscheln und die Tomaten unterheben, Petersilie darüber streuen und die Scampi oben auf legen, Deckel auf die Pfanne und noch eine Minute neben dem Herd stehen lassen – ecco fatto.
Deine Küche sieht jetzt aus, als wäre die Harleymeute total verwirrt hindurch gebrettert. Du wischst du dir den Schweiß von deiner Bikerstirn, steigst aus dem total versauten T-Shirt und schlüpfst in dein schickes Holzfällerhemd, mit dem du vor acht Jahren zum Bivacco Gino Rainetto beim kleinen Mont Blanc – ne nich gebrettert, das ist motorradfreie Zone – durch Flüsse und Geröllfelder gerobbt bist, einigst dich mit deiner Braut, ob Rot oder Rosé und dann vergesst ihr mal für ein paar Tage die Waage, die tückisch im Badezimmer lauert,
Tipp 1: Die Schalentiere sind noch in der Schale. Also lege ein ordentliches Reinigungstuch pro Person neben den Teller. (oder schäle sie vor dem Braten – die Schalentiere, nicht die Person).
Tipp 2: In Italien wird dazu kein Käse gereicht, denn das ist ein recht deftiges Gericht. Aber erklär das mal einer Frau.
Tipp 3: Das ist ein einfaches, aber umfangreiches Unternehmen, daher bereite alle Einzelteile vor, bevor es ans Kochen geht:
Vorbereitung: 20 Minuten
Tintenfische in Ringe, Tomaten gehäutet und gewürfelt, Knoblauch und Petersilie gehackt, Scampi bzw. Garnelen präpariert.
Kochvorgang: 20 Minuten