Il sugo all’arrabbiata – Ein Alptraum mit Happy-End in drei Teilen
1. Teil
Der Weg zu einem guten Essen ist immer einfach. Auf Gozo in Victoria holst du dir in Tapie`s Bar an der Pjazza San Franġisk deine Pistazzi, stellst dir dazu ein Kinnie auf den Tisch und deine Seele strahlt.
In Überlingen am Bodensee servieren dir im
Strandcafé Dischinger die brasilianischen Kellner einen Krokantbecher inklusive Grappa, da vergisst du alle Schurken diese Welt, als da sind Rechtsanwälte, Banker, Politprofis und Mathematiklehrer.
Auf dem Camping Pian d’Oneda am Lago d’Idro lässt du dir am Abend, wenn die Mücken blutdurstig vom freundlichen Idroufer abheben, nach einer herrlich umständlichen Motorradtour über sieben Pässe und durch ebenso viele Täler die Spaghetti allo Scoglio auf den Tisch stellen, die dich mit allen Schurken dieser Welt versöhnen – vor allem mit den Mathematiklehrern.
Aber ab und an da gibt es Probleme. Da stottert die Lustmaschine, da drängt sich etwas zwischen dich und dein Glück, das hätte dein schwarzes Schicksal werden können. Du weißt nicht, wovon ich rede? Gleich wirst du es wissen.
Prolog: Nacht vom 4. zum 5. September
Lag in der zweiten Nachthälfte wach, kehrte immer wieder in eine riesige Höhle zurück gefüllt mit Dunkelheit. Treibe nach oben, werde zum Ausgang gezogen, die Dunkelheit wächst wie ein schwarzer Brei, kriecht mit langen Fingern die Wände hoch, umschlingt mit langen Fingern meinen Kopf, ich reiß ihn los, greift mit langen Fingern nach meinen Beinen, ich trete wild, zieht mich beharrlich nach unten, die Lungen in Panik, um mich herum will das Wasser zu Beton werden. Ich rudere verzweifelt nach oben, doch ich weiß: Dort oben wartet die Angst.
Und schon wälzt sie sich heran, ein Nebel des Todes, schnürt mich ein, mein Mund voll Wasser, die Arme gefesselt, ich will hier raus. Ich reiße an den Fesseln. Lautlose Schreie. Ganz oben ein weißes Licht, grell dreht es auf wie ein Zoom – und schießt im Bogen davon.
Und dann fällt die Angst über mich her.
Ich schlage um mich. Ich schreie. Ich habe meine Stimme wiedergefunden!
Licht im Schlafzimmer. Die Braut hält verängstigt meinen Arm. Ich hätte sie fast aus dem Bett geprügelt. Ich bin nicht allein! Ich bin nicht allein! Ruhe entspannt die Augenlider. Ein Flüstern von irgendwo: Ein Mann glaubt doch nicht an eine Vorsehung! Aber da bin ich schon eingeschlafen und ratze wie ein schnullender Säugling bis weit in den Morgen.
2. Teil
10. September, 11.30 Uhr
Das Blue Hole, Durchmesser: 10 Meter, ein azurblaues Zyklopenauge, das sich wie ein Tunnel 18 Meter senkrecht in den Felsen bohrt. Kristallklar das stille Wasser. Die untere Hälfte des Kamins öffnet sich unter einem weiten Bogen zum Meer.
Taucher lieben diesen Tunnel bis zum Erbrechen. Heute ist er paritätisch besetzt: 15 Taucher drängeln sich im Hole, 15 drehen geduldig am Ufer ihre Taucherdäumchen und 15 sind als Pinguine verkleidet im Anmarsch. Liebe macht oft hellsichtig, manchmal macht sie auch blind.
Fünf Tage zuvor war dies ganz anders. Familientreffen. Unten am Blue Hole Vater und Sohn, oben Mutter und Braut. Unten sind wir zwei mit dem Blauen Tor zur Unterwelt allein.
Take care, warnte Joe in der St. Andrew’s Divers Cove, das Wetter ist heute für Überraschungen gut. Der gute, alte Joe. Der redet viel, wenn der Tag lang ist.
Der Abstieg – ein Traum. Ausatmen, langsames Absinken in die blaue Tiefe, die Ohren ploppen sich frei. Die Wände verziert mit Teppichflecken von knall gelben Minianemonen und noch knalligeren roten Schwämmen. In acht Meter Tiefe öffnet sich vorschriftsmäßig der Kamin zur offenen See. Wir lassen uns noch drei Meter sinken, und dann schweben wir ins Freie.
Rund um das Azur Window, Auge in Augen mit den neugierigen Zackenbarschen, vorbei an den jagenden Amberjacks – dann dreht die große Hand den Dimmer runter. Die roten Papageienfische kommen grau daher. Die Goldstriemchen ganz in Blei, aber ihr Gold pulsiert. Wetterleuchten unter Wasser, wie schön, das erlebt man nicht alle Tage.
Der Druckmesser, der Oberpedant, warnt: Zeit für den Ausstieg.
Wir lassen uns Zeit. Den Weg zum Ausgang ist schon längst Teil unserer Geninformation geworden. Gemächlich steuern wir in 10 Meter Tiefe den Bogen an, der zurück in das Blue Hole führt. Doch: Wo ist das Blue Hole?
Kein schräg einfallendes Sonnenlicht zeigt uns den Weg nach oben, kein leuchtendes Blau jubelt: Hier seid ihr richtig, Jungs. Stattdessen Dunkelheit, fette Dunkelheit. Je höher wir steigen, desto fetter wird sie.
Wir sind in eine Höhle geraten. Doch: Woher kommt diese Höhle?
Wir kehren um. Mein Oberpedant giftet: Ich hab’s doch gesagt! Ich hab’s doch gesagt! Jetzt haste nur noch 10 ats. Sieh zu, dass du raus kommst.
Wir steigen auf zur Oberfläche. Die See kocht. Regen peitscht waagerecht über die Wellen. Und dann Krachbumm, das volle Programm. Der Blick auf die Küste zeigt: Wo uns die Wellen herumschmeißen, muss das Blue Hole sein. Also wieder runter und wieder durch den Bogen – und wieder schweben wir in das dunkle Loch.
Dann ist meine Luft weg. Beim Wegdrehen sehe ich weit oben ein weiß-blaues Licht. Es schwebt in einem kleinen Kreis. Ich zweifle an meinem Verstand, haste aus der Höhle nach oben. Die ersten Anzeichen von Panik. Meine Atmung hat Touren aufgenommen.
Unter mir irrt eine 16flossige Tauchgruppe zwischen den Felsbrocken herum. Dann poppt Klaus neben mir ans Licht. Und kurz danach wuseln die anderen 16 Flossen hoch in die kochende See und streben in die Felsenbrandung.
Wir hinterher. Der Mensch ist ein geselliges Wesen. Und der Mensch ist ein Kulturwesen. Wir stellen uns an, denn: Dies ist eine britische Tauchergruppe.
Am Ufer steht der Divemarshal – ein viereckiger Brite – solide in der Brandung und fischt den ersten aus dem Wasser. Die beiden formen eine Kette, und schon hechelt der zweite wie ein angelandeter Fisch zwischen Gischt und Fels.
Eine Taucherin wird in die Felsen gespült. Ein Griff in die Tarierweste, und sie ist am Haken. Aber so schnell gibt die See sie nicht her. Ein Brecher von rechts rollt sie über die Felsen. Die See will sie zurückhaben. Doch der quadratische Brite bleibt stur. Die Taucherin liegt auf dem Rücken wie Kafkas Käfer. Arme und Beine zappeln. Die streben in ganz unterschiedliche Richtungen. Die spannende Frage: Wohin wird die Reise gehen? wird weggewischt von ihrem Gesicht: Terror total. Aber eine Stunde später beim Kinnie in der Bar am Inland Sea wird sie nach einem Biss in das saftige Ftira lachen: Tauchen ist ja wohl das Letzte.
Aber noch ist es nicht so weit. Gerade will sie sich die metaphorischen Schweißtropfen aus der Stirn wischen, da kommt der nächste Brecher und hebt sie empor in die Sicherheit.
Dann bin ich an der Reihe. Gott sei Dank kann ich nicht sehen, wie ich durch die Gischt gezogen werde.
Als letzter treibt Klaus in der Brandung. Und das kann ich sehen, von oben, Panoramablick. Er landet an, ein mächtiger Brecher reißt ihn zurück, die brodelnde See lässt ihn kreiseln, überspült seine Tarierweste – ich könnte der See in die Weichteile treten – dann hebt ihn eine freundliche Welle, zwar nicht in des Vaters Arme, so doch auf den Felsen, wo er wie eine aquatische Sonderausführung hin- und her gedreht wird, bis ihn unsere Briten fest im Griff haben.
Und wer steht hoch oben auf dem Plateau über dem Blue Hole? Die Braut und Mutter steht da. Und der geht es gar nicht gut.
Was war passiert?
Das erfahrt ihr im 3. Teil, wenn es um die Arrabbiata geht, der Sauce des Zorns.
3. Teil
Kurz nach unserem Einstieg knallten die Himmel. Die maltesische Atmosphäre ließ die Höllenhunde los. Gewittersturm, Regenfluten und schon schoss die braune Brühe die Felsen herunter und versiegelte das Blue Hole. Unser quadratischer und kluger Brite, der oben in die Felsen gekrallt die Wacht hielt und sah, was da abging, hängte seine Tauchlampe in den trüben Tümpel, aber das Licht in der Dunkelheit hat unsere Sinne verwirrt.
Und am Abend, als die See und unsere Nerven sich schon längst wieder einer sanften Dünung hingaben, als die Sonne über der Bucht von Xlendi in ihrer vollen Schönheit erglühte, haben Klaus und ich unserer Braut und Mutter für eine Ladung frischer Tortellini eine Arrabbiata gezaubert, diesen Zauber mit einer Flasche Verdala Rosé gekrönt – und haben zusammen den nächsten Tauchgang geplant.
Und damit kommen wir zum Ziel, die sugo all’arrabbiata, die zornige Sauce. Die ist ein leidenschaftliches Ding mit vielen Gesichtern, aber eines haben alle die Gesichter gemeinsam: Die Zwiebel (die Königin der Küche), den Knoblauch (ihr hemmungsloser Lover), die Tomate (die Sonne des bel paese) und heiße Peperoni. Ihr seht schon: Diese Sauce lässt die Hormone jubeln.
Der Klassiker läuft mit gewürfeltem Bauchspeck, aber wenn wir den streichen, sind die Hormone nicht mehr zu bändigen.
Für seine heiße Sauce legte sich Klaus für uns drei bereit:
- 6 getrocknete Tomaten in Streifen geschnitten. Dazu findest du hier was.
- 8-10 Kirschtomaten halbiert
- 1 mittelgroße Tomate gehäutet und gewürfelt
- 10 schwarze Oliven auf dem Kern, die ich aber vom Kern trennen und halbieren musste.
- 2 EL Kapern
- 1 EL Kapernwasser
- 100 ml Rotwein
- 2-3 Knoblauchzehen in Scheiben geschnitten
- 1 mittelgroße Zwiebel gehackt
- 5 Sardellenfilets, die Sardellen in 5mm breite Streifen geschnitten*
- 1-2 Chili- oder Pfefferschote oder Peperoni in Ringe geschnitten. Wer es nicht ganz so heiß mag, entfernt die Kerne und die ganz Vorsichtigen nehmen nur eine Pfefferschote.
- Thymian
- Oregano
- glatte Petersilie gehackt
- Pfeffer
Tipp: Salz könnt ihr euch schenken bei Sardellen aus dem Glas. Aber auch bei Sardellen in Öl würde Joe sagen: Take care. Die Sardelle hat Salz in ihren Adern.
Und dann ging’s es los:
Zwiebel, Knoblauch, die getrockneten Tomaten und die Pfefferschote(n) angebraten, bis Knoblauch knusprig und Zwiebeln glasig waren. Sardellen und die Gewürze rein und dann die Kirschtomaten dazu, mit dem Holzlöffel Saft aus den Hälften gepresst und ganz kurz alles eindicken gelassen. Kapern ran. Mit Rotwein gelöscht, nach und nach das Kapernwasser hinzugegeben und alles einkochen gelassen.
Und für seine liebe Mutter hat er kurz vor dem Finale die Tomatenwürfel hinzugefügt. Und als denen gerade die Sinne ganz locker wurden, haute er das Ganze mit einem gekonnten „Ecco fatto!“ auf den Terrassentisch neben die dampfenden Tortellini und den.geriebenen Regato.
Und wer wissen will, wie er oder sie an oder in das Apartment kommt, dessen Balkon direkt über der verzauberten Bucht von Xlendi schwebt, wo am frühen Morgen der Duft der Tamarisken ihn oder sie auf dem Weg zum Sprung ins Wasser begleitet, wo am Abend die Sonne den Verdala Rosé neben dem gegrillten Schwertfischsteak auf der Dachterrasse erglühen lässt, kurz, wo das Hamsterrad ins Stocken gerät, wo unsere großen deutschen Drei (wer kann das wohl sein? Tipp: Angela Merkel ist es nicht.) mal zeigen können, was sie drauf haben:
- “Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein”.
- : „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
- „Der Mensch (Zitat hier an den modernen Sprachgebrauch leicht angepasst ) fühlt sich … erst außer(halb) der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich.“
kurz: wo also das Dasein und das Bewusstsein entspannt Frieden schließen, wer also das wissen will, der maile mich an.
*Also die Sardellen legt er sich normalerweise bereit. Heute hatte er sie nicht. Aber wir hatten noch einen formidablen Rest Thunfisch. Den haben wir reingewürfelt. Und hätten wir den nicht gehabt, sondern Reste von einem Tintenfischgratin ,dann wäre das auch super gewesen.
Oh Mann, das war ja wirklich ein Abenteuer! Die sugo all’arrabbiata werde ich sicher mal nachmachen – aber dies Urlaubserlebnis sicher nicht! Gott sei Dank seid ihr alle gesund und ohne größere Piranha-Bisse wieder aus dem Schlund des Abgrunds emporgekommen! Von diesem Erlebnis hätt‘ ich gerne einen Songtext 😉
LG Jörg