Leber

Aufstehen um 5.30 Uhr, draußen alles Dunkel, drinnen hell, etwas. Frühstück runtergedrückt, raus in die Dunkelheit, vorbei an Edeka links und Lidl rechts, schon steh ich auf dem Bahnsteig und schon kommt der Zug.
Drinnen Platz am Fenster. Der Zug ist gut belegt. Die Leute sind beschäftig mit Zeitungslesen, Klönen, Dösen, Daddeln.
Also die meisten daddeln.
Ich vergaß, ich bin nicht von hier. Am Bodensee daddelt man nicht, am Bodensee und in der übrigen Republik wird gezockt, und das heftig und sehr variabel.
Die Daddler respektive Zocker sitzen aufrecht oder gegen irgendeinjesus texten Halt gekuschelt, Kopf nach unten, Blick zwischen die Händen, die Finger streicheln zärtlich mal nach links oder mal nach rechts oder von oben nach unten, sie grübeln und drücken, sie treffen eine Auswahl, die Ohren werden weiß eingestöpselt, er oder sie lehnt sich zurück und lauscht.

Das Smartphone und die neck-down-generation, ein glückliches Team.

Zwei Mädchen streicheln synchron über ihr Phone, die eine hält der anderen das Display seitlich ins Blickfeld. Die dreht den Kopf nach link, schaut, ein Lächeln huscht über das verträumte Gesicht, nickt, senkt den Blick auf das eigene Phone, streichel, streichel und schon hält sie das Display ihrer Nachbarin ins Blickfeld. Die kichert, schüttelt den Kopf, „Mensch, Nadja gestern Abend. Nadja ist doch ein verrückter Typ“, sagen ihre Augen, und schon liebkost sie wieder ihr eigenes Smartie.
Die beiden Mädchen verstehen sich blendend, auch ohne Worte.
Etwas weiter hinten stehen ein Junge und ein Mädchen. Die verstehen sich auch blendend. Sie rücken die Köpfe zusammen, er hält sich seine gespreizten Finger neben das Gesicht, sie spitzt ihre Lippen zu einem knutschigen Schmollmund, die Gesichter ausgerichtet auf das erhobene Smartphone, das sie in der linken Hand hält, Blitz, wuuusch und das Selfie steht.
Die beiden sind begeistert, schauen sich lachend das Ergebnis an. Es ist so schön, also sofort das Gleiche noch einmal, die gespreizten Finger diesmal leicht verdreht, und wieder gekichert, und …
Ich komme gar nicht dazu, in meinem Buch zu lesen, um mich herum alles Action, konzentriert, wortlos, aber nicht tonlos.
Und ehe ich mich versehe ist es Mittag, und ich laufe ein in Hof und steige aus. Die Smartie Meute auch. Ihre Blicke gefangen von den Smartphones navigiert sie blind mit einer atemberaubenden Sicherheit über sperrige Stufen, um schmierige Obstreste herum, an Koffern hievenden älteren Herrschaften vorbei.
Ein Mädchen hat heute einen schlechten Tag. Die knallt in einen reifen Herrn, der gerade auf sein schütteres Haupt eine Mütze setzen will. Die fliegt ihm erstaunt aus der Hand. Das Mädchen blickt verwirrt auf, und schon ist sie weiter. Wüste Beschimpfungen fliegen ihr wirkungslos hinterher. Sie hat viel zu tun. Sie muss vorarbeiten. In der Schule herrscht Handyverbot.

Okay, also ich bin jetzt in Hof.
Wieso Hof? Bin ich so früh aus den kuscheligen Federn gekrochen bin, um zu sehen, was aus dieser bayrischen Grenzstadt seit 1989 geworden ist?
Natürlich nicht. In Hof wartet eine Bonnie auf mich. Ohne Clyde. Die Bonnie ist auch keine amerikanische Gangsterbraut. Die ist eine englische Lady aus Stahl, Aluminium und Gusseisen mit einem 865 cc Parallel k-bsa-elke-textTwin Motor und einer schlanken Taille. Sie tut so, als käme sie direkt aus den 70iger Jahren, als meine BSA Lightning noch stolz auf ihre enge Verwandtschaft mit der legendären Triumph Bonneville war.

Aber unter dem Blechkleid ist alles von dieser Zeit. Elektrische Einspritzung, Kat und elektronische Steuerung, ABER ein Kupplungszug mit einem echten Bowdenzug als Seele. Das mag euch nicht viel sagen, aber doch soviel: Da ist nichts mit einer bonnie- texthydraulischen Bremsleitung, die nie kaputt geht, wenn aber doch, dann sind ein paar Hunderte fällig. Da verbindet eine Drahtseele den Kupplungshebel am Lenker direkt mit der Kupplung. Wenn die Seele reißt, und leider tut sie das irgendwann, wie das eben eine Seele so tut, dann ziehe ich einfach eine neue ein.

Und 68 PS bei 7000 Umdrehungen sind deutlich weniger, als meine letzten Bikes unterm Dampfhammer hatten: Da ist denn die seniorale Braut etwas beruhigter (aber nicht sehr). Doch die 68 PS sind immer noch genug für einen ordentlichen Punch, den ein Senior hin und wieder braucht.

Und wenn dann der Abend kommt, und die englische Lady sich unter dem Car Port ausruhen kann, dann überlege ich, wie ich meiner eigentlichen Lady eine Freude machen kann. Da gibt es viele Möglichkeiten, eine davon, vielleicht nicht unbedingt die beste, aber in diesem Fall vielleicht die passendste, wäre ein kulinarischer Happen aus der englischen Küche, so was wie Fish’n Chips – das hatten wir schon – oder Lammbraten – hatten wir auch schon – oder Shepherd’s Pie – das verträgt mein greiser Magen nicht mehr – oder ein Welsh Rarebit or Rabbit – das ist denn doch ein zu schlichtes Ding.
Oder ein Fry? Okay, ein Fry, aber wenn schon ein Fry, dann einen portugiesischen. Der hat auch den richtigen Punch, ist rucki zucki auf dem Tisch, und außerdem habe ich ihn schon vor Monaten versprochen: As iscas à portuguesa, die portugiesische Leber, die auch der eingefleischteste Leberhasse gierig herunterschlingen wird.

Und da gerade eine Feijoada à Portuguesa, eine portugiesche Bohnensupper aus der Küche verzweifelt nach mir ruft, sag ich nur: Bis zur nächsten Woche.

***

Also eine isca ist nicht eigentlich eine Leber, eine isca ist ein Köder oder auch ein griffiger Appetithappen wie etwas die iscas de peixe, eine Art Edelfischstäbchen. Und die iscas à portuguesa sind eben Leber basierte Leckerbissen. Rezeptvarianten gibt es fast so viele wie Sand am Strande von Caparica.

Für meine Iscas à Portuguesa, die eigentlich die meiner klugen Schwester sind,  brauchst du

a) an Hardware

  • ein sehr scharfes und nicht zu kurzes Küchenmesser
  • ein Schneidebrett
  • eine Knoblauchpresse (eine Gabel tut es auch)
  • einen Backofen mit Blech
  • eine beschichtete schwere Pfanne
  • eine kleine Pfanne
  • ein Sieb
  • eine ausreichend große Schüssel, wenn möglich feuerfest.

 b) an Foodware
Für die Marinade

  • einen trockenen Rotwein nach Bedarf.
  • 1-2 Knoblauchzehen zerquetscht
  • 2 Blätter Lorbeer
  • gemahlenen schwarzen Pfeffer

Für die Leber

  • 200 g Schweineleber
  • 150 g gestreiften Speck, geräuchert
  • 1 Dose Tomatenmark (70 g)
  • 1-2 Knoblauchzehen, gehackt.
  • eine kleine Zwiebel, gehackt.
  • frisch gemahlenen schwarzen Pfeffer
  • 1 Tüte Kartoffelchips (175 g) ohne auffälliges Aroma, z.B Paprikachips und davon eine 3/4 Tüte
  • Olivenöl
  • Margarine oder Schweineschmalz
  • Salz

Und jetzt geht’s los

Die Leber wird in maximal 5mm dünne, nicht zu große Scheiben geschnitten, in eine möglichst steilwandige Schüssel eng gepackt, mit schwarzem Pfeffer übermahlen, mit dem zerquetschten Knoblauch vampirfest gemacht und mit zwei Lorbeerblättern veredelt.

Und schon wird die Leber in das Reich der Träume geschickt und im Rotwein versenkt, umgerührt, zugedeckt und dann am kühlen Ort 4-5 Stunden ruhen gelassen.

Die Sonne scheint, ihr schwingt euch mit dem Bike durch die Romantik des sagen wir mal Donautals zwischen Beuron und Sigmaringen, zieht euch dort einen Krokantbecher rein oder einen Pflaumenkuchen – den Grappa schenkt ihr euch heute – und wedelt anschließend zurück an den Bodensee, oder wo es sonst noch schön ist.

k-k-12lerchenb-montage-textDort hast du jetzt zwei Möglichkeiten.

Du bist eine portugiesische Hausfrau von altem Schrot und Korn und schälst erst einmal ein halbes Kilo Kartoffeln, zerlegst die Kartoffeln in hauchdünne Scheiben. Dein Mann sitzt inzwischen mit den Gästen im Wohnzimmer, man plaudert, man lacht, man nippt an einem Gläschen selbst angesetztem Orangenlikör, man lobt den guten Geruch, der aus der Küche kommt, während du deine Kartoffelblättchen in das siedende Öl schmeißt und sie fleißig mit der linken Hand bewegst. Die rechte kümmert sich um die Leber.

Oder du bist ein arbeitsökonomisch durchtriebener Mitteleuropäer und greifst dir eine Tüte Kartoffelchips aus dem Supermarkt. Dann kannst du noch ein halbe Stunde länger auf dem Bike durch die Landschaft schwingen.

 Und wenn du zurück bist

  1. verteilst du die Kartoffelchips auf dem Backblech, schiebst alles in den Umluftofen und heizt ihn auf 120°C.
  2. Nun dünstest du bei mittlerer Hitze in der kleinen Pfanne die Zwiebel und den Knoblauch in Olivenöl an und gibst das Tomatenmark mit einem kleinen Schuss Rotwein hinzu. Das vermischst du alles und stellst die Herdplatte aus.
  3. Gleichzeitig hast du die große Pfanne auf volle Touren gebracht, die marinierte Leber in ein Sieb gegeben und abtropfen lassen. Wenn möglich, fange etwas von der Marinade auf.
  4. Das Fett in der Pfanne macht sich gerade zum Rauchen fertig, da haust du den gestreiften Speck hinein, brätst ihn scharf an, wendest ihn Stück für Stück, nimmst ihn heraus und gibst ihn zur Tomatensauce.
  5. Und als Höhepunkt des Tages klatscht anschließend die Lebermeute zischend in die Pfanne. Zieh dein geliebtes T-Shirt aus, denn gleich wird dir der Lebersaft um die Ohren fliegen. Auch die Leber scharf anbraten und wenden, dann mit Rotwein oder der Marinade vorsichtig löschen, etwas, aber nicht komplett eindampfen lassen, salzen und die Tomatensauce mit allem drum und dran unter die Leber heben.
  6. Schnell das Blech mit den Kartoffelchips herausgeholt und alles auf dem Blech vermischen. Mache es sorgfältig, damit die Sauce gleichmäßig verteilt ist.

TIPP:
1. Wenn du eine ausreichend große hitzefeste Schüssel hast, dann vermische alles in dieser Schüssel, die du im Ofen vorgewärmt hast.
2. Die Leber kühlt schnell ab und verliert dann ihre Saftigkeit. Also
– auch die Teller im Ofen oder im heißen Wasserbad vorwärmen und
– alles sofort servieren.

Hinweis: Ich versuche mit einer Dose Tomatenmark auszukommen, so dass die Kartoffeln nur leicht gerötet werden.
Eine mir sehr nahestehende Person besteht auf zwei Dosen. Irgendwie einigen wir uns immer.

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