1974
Die Bundesrepublik rechnet mit der Rote Armee Fraktion ab, die Zeitungen sind voll von den Haftbedingungen in Stuttgart-Stammheim. Die Bildzeitung rechnet ab mit Heinrich Böll. Er hat versucht, sich mit der RAF objektiv und öffentlich auseinanderzusetzen. In den Kneipen geht es hoch her. Die einen wettern gegen die „faschistoide Springerpresse“, für die anderen „sind die Bölls gefährlicher als Baader-Meinhof.“
Zu gleichen Zeit haben in Belfast die Protestanten den Generalstreik ausgerufen und skandieren: „No surrender“, als stünde ihr Untergang bevor. Deinen Weg zum Bäcker überwacht ein Mann im Hauseingang, den Hut ins Gesicht gezogen, das Gewehr hinter seinem Rücken. Die Sunflower Bar fliegt in die Luft und in einer diskret gelegenen Garage durchlöchern Katholiken einem, den sie Verräter nennen, mit einem Boschbohrer die Kniescheibe.
Wir packen unsere Sachen zusammen und machen uns auf nach Donegal. Tauchen. Mit dem Belfast SubAqua Club. Der besteht aus Katholiken und Protestanten und zwei Deutschen, und die haben alle keine Probleme miteinander.
Unser grüner Mini verkündet mit der deutschen Nummer VER , das er in Verden an der Aller zugelassen ist. Der Streik ist ihm egal. Mit Schwung braust er durch Lurgan, will einfach an die Westküste, will Atlantikluft schnuppern. Waren da Polizisten? Waren da Soldaten? Flog da was durch die Luft?
Er geht in die Bremsen. Plötzlich auf der Straße überall Pflastersteine, zerbrochene Flaschen, vor uns eine johlende Menge, deren Gesichter und Fäuste nichts Freundliches versprechen, hinter uns Militär und Polizei, die die Gummiknüppel wetzen.
Dazwischen wir. Leider können wir uns nicht selbst sehen. Wir müssen sehr erstaunt aussehen. Die Menge auch. Spannung. Stille. Was will der grüne Mops mit dem schrägen Kennzeichen?
Ein Soldat mit einem Schnellfeuergewehr kommt auf uns zu. Der Mini wird kleiner, so gut ein Mini eben kleiner werden kann, wir werden noch kleiner.
Aber das Schrumpfen hat schnell ein Ende. „Vee Ee Ar, you are from Verden an der Aller, aren’t you.“ Der nette Mensch ist ein halbes Jahr in Munsterlager durch die Heide gerobbt und zur Entspannung fuhr er nach Verden. Als ich die Domschänke erwähne, da strahlt er noch mehr und leitet uns zu einer Passage durch die Barrikaden.
Wir sind sicher: Gleich nach unserem Abschied geht es wieder los, Flaschen, Pflastersteine, Gummigeschosse, Fäuste und Gummiknüppel, Wut und Hass.
Aber wir schauen nicht zurück, ich trete auf das Gas und in zwei Stunden laufen wir in Carrick ein.
Schafmarkt. An den Telegrafenpfählen im Kreis angebunden – Schafe, vom River Glen bis zur Post Office, ein Schafkreis nach dem anderen. Den Schafen geht es gut. Sie blöken in ganz unterschiedlichen Dialekten, reiben sich gegenseitig an ihren wolligen Schultern und wenn ein irischer Schäferhund knurrig vorbeikommt, dann zeigen sie heimlich einen Stinkefinger, jedenfalls so was Ähnliches.
Aber vor allem verbreiten sie eine enorm spannende Geruchskulisse. Wir checken ein im Slieve League und freuen uns auf den nächsten Tag.
Killybegs, am Vormittag mit dem Boot raus zur Steilküste und dem Congeraal in die Augen geschaut, am Nachmittag die Langusten am Rande des Hafenbeckens in zehn Meter Tiefe gezählt und abends in Carrick an die Bar. Da ist was los.
Musikalische pub session, für alle die Gälisch sprechen: seisiún. Gilbert hat nicht nur eine Pint of Murphy’s mitgebracht, sondern auch sein Banjo und wird großzügig von den einheimischen Musikanten in ihrer Mitte aufgenommen. Mit Murphy’s kommst du auch als Nordire in der Republik überall durch.
Und dann geht es los. Pipes, flutes an whistles und vor allem die fiddle lassen die Decke ein paar Inches in die Höhe gehen. Dann plötzlich Stille.
Der alte Mister Jones wird von seiner Tochter in das Zentrum geführt. Die scheucht den Hund vom Klavier und nimmt selbst Platz., Ihr Vater legt sich die Fiddle an das Kinn.
„Tonight we have two German guests, who came over from Belfast, and for our German guests we have a German song.“
Die Tochter nickt mit dem Kopf und der alte Mister Jones lässt seine Fiddle jubeln, dass das Murphy’s zu tanzen beginnt. Deutscher Song? Keine Spur.
Oder doch? Wir brauchen einige Zeit, bis wir der deutschen Seele auf die Spur kommen: „Under The Double Eagle“, der österreichische Militärmarsch. Der Doppeladler trällert hoch in die Lüfte, wird zur Lärche und verliert als Irish Reel all sein stumpfes Wumm und seinen lächerlichen Pomp und verwandelt sich in eine Musik voller Leben und Lebensfreude.
Und wir? Was geben wir dem Mr. Jones? Wenn der Westwind im Herbst kalt durch die Täler faucht, dann trinkt Mr. Jones sein mulled beer, eine gewürzte Pint warmes Lager. Das ist nun für uns ein schrecklicher Gedanke. Wir erklären seiner Tochter, wie wir einen instant Glühwein zubereiten. Sie hört misstrauisch zu: „That sounds very interesting.“
Das ist es auf jeden Fall. Stell dir vor, du willst schnell mal eine Tour zum, sagen wir mal zum Höchsten (der Berg heißt tatsächlich so) hoch über dem Bodensee machen, oben strahlt die Sonne, unten ist der Bodensee in Nebel gepackt. Dir treibt es die Freudentränen in die Augen.
Was machst du? Du greifst dir den irgendwann mal gebackenen Butterkuchen aus der Gefriertruhe, greifst dir dein Glas mit dem selbst hergestellten Fertigglühweinpulver, füllst die richtige Menge in die Thermoskanne und dann heißer Rotwein drauf, zugeschraubt und ab geht die Post …
… in ein paar Tagen.
Nach ein paar Tagen
Äußere Umstände, die ich hier nicht näher erläutern möchte, haben mich daran erinnert, dass wir vor vielen Jahrzehnten der netten Tochter des alten Mr. Jones eigentlich doch etwas anderes erzählt haben. Auch ist mir eingefallen, dass Mr. Jones mitnichten auf mulled beer stand, nein, sein Ding war ein Eggnog, eine üble Panscherei mit Eiern, heißer Milch, Whisky und was weiß ich.
Was das für Umstände waren? Also meine Deern hat für die Festtage einen Essensplan entworfen, einen wirklich guten. Und dazu gehört auch ein mousse au chocolat. Was soll man da sagen? Da kann man nur sagen: Besser geht’s nicht.
Und der totale Knüller: Da bleiben vier oder fünf Eigelb über. Und schon macht es in meinem nicht mehr ganz frischen Hirn ‚Klick‘. Ein Eierlikör braucht fünf Eigelb.
Ja, da habe ich meine Deern gefragt, ob ich ihre Eigelbs (Eigelbe?) habe dürfte. Da hatte sie gesagt: Jau.
Kurz und einfältig: Als wir von dem Eggnog hörten, habe wir der Tochter von Mr. Jones das Eierlikörrezept meiner Tante erklärt. Sie sagte auch sehr vorsichtig, „How very interesting“, aber Mr. Jones war begeistert, der Hinweis auf die Bedeutung eines guten Brandys hatte ihn überzeugt.
Daher hier im Sinne einer kulinarischen Nachhaltigkeit die Dublette (den Glühwein gibt es ein andermal):
Eierlikör selbst gemacht – Zutaten für ca. 750 ml:
Hardware
– Schneebesen (Hand oder Maschine)
– Weitläufige Metallschüssel
– Verschließbare Flasche(n) mit einem weiten Hals
Foodware
– 5 frische Eigelb
– 1 Päckchen Bourbon-Vanillezucker
– 250 g Puderzucker
– 250 ml Sahne (bei einem 200 Grammbecher mit Milch oder Kondesmilch auffüllen)
– 250 l Sprit (Birnen- oder Himbeergeist, Korn, Rum (braun oder weiß), Brandy, Wodka etc
Nun geht’s los:
1: Für den Eierlikör die Eigelbe und den Vanillezucker in einer Metallschüssel verrühren.
2. Nach und nach Puderzucker, Sahne und Rum unterrühren.
3. Die Eierlikör-Masse mit den Schneebesen des Rührgerätes über dem heißen Wasserbad ca. 6 Minuten dickcremig schlagen.
4. Den Eierlikör mit Hilfe eines Trichters abfüllen.
Der Eierlikör hält sich gut verschlossen im Kühlschrank ca. 4 Wochen (Bei mir leider nur zwei).
Tipps:
– Eierlikör wird wie mein rechtes Knie, fester, wenn er längere Zeit steht. Durch Schütteln der Flasche machst du ihn (wie auch mein Knie) wieder locker
– Eierlikör lässt sich am besten in Flaschen mit weiter Öffnung füllen. Wenn du eine siehst, krall sie dir. So eine Batterie von Schaschliksaucenflaschen macht sich gut.
Mousse au Chocolat für vier Personen
Hardware:
– ein Schneebesen (Hand oder Maschine)
– einen Topf, in dem du gut rühren kannst.
– vier flache Schüsselchen
Foodware
– 200 g Schokolade, bitter
Ideal sind 100 g Zartbitter und 100 g Mocca, aber wo bekommst du heute noch Moccaschokolade?)
– 3 EL Wasser
– Eiweiß von 4-5 Eiern
– 4 EL/100g Zucker
– 2 – 3 Esslöffel, Cognac oder Rum
– 1 EL Butter
Zubereitung
1. Wasser und Butter in einem Topf erhitzen, Zucker dazugeben und verrühren, bis er geschmolzen ist.
2. Die Schokolade in Stücke schneiden und bei kleiner Flamme langsam zum Schmelzen bringen. Am Schluss den Alkohol darunter rühren.
3. Gleichzeitig das Eiweiß steif schlagen. Sieh zu, dass es supersteif wird.
4. Jetzt das Eiweiß gefühlvoll unter die Schokoladenmasse heben und in flache Schälchen füllen.
Alles im kalten Keller oder Kühlschrank übernachten lassen. Und am nächsten Tag, ihr habt gerade nach eine Schüssel Krabben mit Tartarensauce ein Lamm– oder Wildschweinbraten versenkt oder eine Ladung Tagliatelle al Salmone oder den feurigen Pfefferthunfisch, dann stellst du den verzückten Gästen den mousse auf den Tisch, flankiert von einem Obstler vom Bodensee, einem italienischen Brandy, oder einem ordentlichen Rum, wenn er aus Cuba kommt, dann zeugt das von ideologischer Weitsicht.
Tipps:
– Nimm auf jeden Fall flache Schälchen, sonst setzt sich unten Flüssigkeit ab.
– Sollten deine Mitesser einen schlechten Tag oder ein schlechtes Gewissen haben (da gibt es enorm viele Gründe) und nur ein halbes Schälchen vertilgen, dann mache auf keinen Fall den Resteesser ( Was auf den Tisch kommt, wird aufgegessen!), du wirst es nur schwer würgend überleben.
Einen Magen, der mit drei Portionen der Powerpampe fertig wird, gibt es nicht.
Und nach diesem wohlmeinenden Ratschlag wünsche ich euch allen entspannende Feiertage